ZKM | Museum für Neue Kunst  05.12.2009 - 11.04.2010
 
100 Jahre Kunst der Moderne
aus privaten Sammlungen in Baden-Württemberg
10 Jahre Museum
für Neue Kunst im ZKM

Weltmuseum und Weltausstellung
Peter Sloterdijk

Absolut museal
Man kann heute sein, was man will, nur nicht mehr absolument moderne.
Man muss der Welt nicht avantgardistisch vorauseilen, um eine Gesamtansicht von ihr zu bekommen, wenn man sich nach ihr umdreht. Nein, es ist an der Zeit, absolut museal zu werden, um das Weltproblem »als Ganzes« zu thematisieren. Wer verstehen möchte, was es heißt, heute zur Welt zu kommen, muss sich klarmachen, was es bedeutet, ins Museum zu gehen.

Museumsekel und Weltschwindel – Über das Museum als Vorschule der Weltfremdheit
Menschen sind Wesen, die zur Welt kommen. Nur eine Teilmenge der Zur-Welt-Gekommenen wird Museumsbesucher. Zur Welt kommen und ins Museum gehen sind nicht nur sehr verschiedene Tätigkeiten, sie kontrastieren auch durch einen sehr verschiedenen Grad an allgemeiner Beteiligung. Meine Behauptung ist nun, dass es in der Logik der Neuzeit liegt, das Zur-Welt-Kommen und das Ins-Museum-Gehen konvergieren zu lassen.

Wie geht das zu? Man könnte zunächst statistisch und sozialkundlich argumen­tieren: Modernisierte Gesellschaften sind Unterrichtspflichtgesellschaften und unter den Institutionen des modernen Pflichtunterrichts wächst den Museen neben den Schulen eine ständig steigende Bedeutung zu. Daraus folgt, dass den Heranwachsenden unserer Zivilisation der Ausflug ins Museum ebenso wenig erspart bleiben kann wie der Schulsport, das Erlernen imperialer Fremdsprachen und das Prozentrechnen. Dass das Zur-Welt-Kommen aufs Zur-Schule-Gehen hinausläuft, ist eine Behauptung, die für unsere Ohren längst nichts Überzogenes mehr hat. Die Schule ist in unserem Weltkreis so unausweichlich und so allgegenwärtig geworden, dass Leben und Zur-Schule-Gehen eine gewisse Synonymie entwickeln mussten. Schule als Welt- und Lebensmetapher leuchtet überall unmittelbar ein, wo Schulen als Institute des kognitiven Kapitals an jeder Ecke stehen. Ist irgendwo von lifelong learning die Rede, so nickt der ewige Schüler in uns mit dem Kopf und weiß aus eigener Erfahrung, worum es geht. Etwas Vergleichbares geschieht heute auch hinsichtlich der Museen – wenn auch Museum als Weltmetapher noch einen preziösen Klang hat und als Lebensmetapher geradezu verpönt ist. Wer wollte schon zugeben, dass man sich nicht nur hin und wieder durch eine Ausstellung schleppt, sondern dass unser Zur-Welt-Kommen überhaupt einem Eintritt ins Museum gleichen könnte? Sind wir schon so von Geschichtlichkeit angekränkelt, dass das Museum zu unseren Lebzeiten zur absoluten Metapher aufsteigen dürfte, ähnlich wie vor dem Museum das Labyrinth, das Theater, das Haus, das Buch, die Schule und die Spule zu unentbehrlichen Weltbildwörtern geworden sind? Wie also muss ich argumentieren, wenn ich erklären will, dass die Rede von der Welt als Museum mehr ist als eine Schaumblase im Großstadtpalaver, nämlich eine rhetorische Figur von zivilisationsgeschichtlichem Symptomwert darstellt? [...]

Katalogauszug "just what is it..."
Herausgeber: Götz Adriani und Peter Weibel, Ostfildern (Hatje Cantz), 2009
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