just what is it... |
Götz Adriani
Heute ist die Gegenwart auf dem besten Wege, die Vergangenheit aus dem Bewusstsein einer Zeit zu verdrängen, die nicht müde wird, das Ende der Geschichte zu propagieren. Was momentan vor allem zählt, ist das auftrumpfende Hier und Jetzt des Zeitgenössischen. Die Fragen nach dem Gestern und Morgen erscheinen obsolet, zumal das letzte ernst zu nehmende Experiment, aus der Auseinandersetzung mit dem Vergangenen Zukünftiges zu entwickeln, in den späten 1960er-Jahren stattfand und demnach mehr als vierzig Jahre zurückliegt. Unter dieser Voraussetzung ist es geradezu ein Sakrileg, auf die banale Tatsache hinzuweisen, dass jede Moderne ihre Geschichte hat und jede Zeitgenossenschaft ihre eigenen Geschichten schreibt. Um zu verdeutlichen, dass keine Gegenwart ohne ihre Vergangenheit auskommt und nur zusammen mit ihr in die Zukunft hineinwirkt, wollen wir anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Museums für Neue Kunst im ZKM das Wagnis eingehen, in einem weitreichenden, rund 270 Exponate umfassenden Kunstpanorama Beispiele der Kunstgeschichte der vergangenen 100 Jahre zu vergegenwärtigen. Relativiert wird die Vermessenheit eines solchen Vorhabens durch die Beschränkung auf die reichhaltigen Bestände, die private Kunstsammler aus Baden-Württemberg ihr Eigen nennen. Aus ihrem Fundus konnten wir schöpfen, um unser Anliegen zu verwirklichen, in einem Museum auf Zeit, das selbstredend Schwerpunkte und Lücken aufweist, die »Haupt- und Nebenwege« der bildenden Künste vom Anfang des 20. bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen. Kernstück unserer Auswahl ist eine 1956 entstandene Collage von Richard Hamilton (Abb. S. 10), die nicht nur die chronologische Mitte des angesprochenen Zeitraums markiert, sondern auch den Beginn dessen, was wir gemeinhin als Postmoderne bezeichnen. Genau 50 Jahre vor diesem bildgewordenen Emblem einer Konsum- und Mediengesellschaft hatte Paul Cézanne die letzten Fassungen seiner Baigneuses gemalt (Abb. S. 12, 33). Diese aus Kunstfiguren errichteten und von formalem Bemühen gezeichneten, an einem Gestade versammelten weiblichen Akte waren wohlerwogene Versuche, dem von Giorgione, Tizian oder Rubens vorgegebenen Zusammenspiel von Mensch und Natur nahezukommen, bevor dann die deutschen Expressionisten ihre Badenden in öffentlichen Badeanstalten oder heimischen Badezubern unterbrachten (Abb. S.42, 45). Mit den zu kunstgerechten Teilen eines allumfassenden Naturganzen gewordenen Badenden wollte Cézanne die Summe aus einem von ständigen Selbstzweifeln irritierten, weitgehend erfolglosen Lebenswerk ziehen. Ohne Vergangenes zu bemühen, suchte der zutiefst vereinsamte Provenzale durch das vom klassischen Schönheitsideal so weit entfernte und ihm doch eigenartig nahe stehende Dasein der Badenden in den Zusammenhang übergreifender Traditionen zurückzufinden. [...] Katalogauszug "just what is it..." |