ZKM | Museum für Neue Kunst  05.12.2009 - 11.04.2010
 
100 Jahre Kunst der Moderne
aus privaten Sammlungen in Baden-Württemberg
10 Jahre Museum
für Neue Kunst im ZKM

Ein Museum für Neue Kunst
Götz Adriani

Was eine Sammlung und was ein Museum ist, darüber gibt es zahllose Meinungen und ebenso viele Veröffentlichungen, und uferlos erscheint die Literatur über das Sammeln und den Sammler im Allgemeinen. Wie so häufig, stammen grundlegende Erkenntnisse zu diesem Thema von Johann Wolfgang von Goethe. Selbst ein passionierter Sammler auf allen Gebieten seiner weit ausgreifenden Interessen, erklärte er seine Beweggründe vor allem in seiner Schrift Der Sammler und die Seinigen (1788/89). Dort hält er fest, dass der Sammler zwar seinen gesammelten Besitz nicht »der besesse­nen Sache, sondern [seiner] Bildung wegen liebe«, er gleichwohl aber hoffe, seinen ganzen Egoismus mittels der eigenen Sammlung zu befriedigen. Und schließlich kommt Goethe auch auf tiefer liegende Gründe der Sammelleidenschaft zu sprechen: Er, der ein einzigartiges literarisches Œuvre schaffen konnte, spürte das Verlangen, als Samm­ler und Liebhaber das Manko auszugleichen, nicht selbst auch bilden­der Künstler sein zu können. Sammeln wird hier also als kreative Ersatzhandlung, als notwendiger Impetus der Lebenserfüllung verstanden, die allerdings dort endet, wo die vollständige Sammlung ihr Ziel erreicht hat und dem Sammelimpuls seine Richtung und seine Freiheit genommen ist.

Lange vor den italienischen Futuristen forderte deshalb schon Camille Pis­sarro, die Museen, sprich den Louvre, als Ort des Gesammelten an­zuzünden; und Bruce Chatwin stellte die regelmäßige Auflösung der Sammlungen zum Zwecke des Neubeginns zur Diskussion: »Der Feind des Sammlers ist der Museumskurator. Im Idealfall sollten Museen alle fünfzig Jahre geplündert und ihre Sammlungen wieder in Umlauf gebracht werden.«

Dass die Sammlungsbestände in der musealen Obhut dem steten Umlauf entzogen werden, ist allerdings nur für die Sammler selbst von Nachteil, denen dadurch die Möglichkeit des Erwerbs eines noch feh­lenden Stückes genommen wird. Geradezu gegenteilig, nämlich als Gewinn, ist die öffentliche Zugänglichkeit von Sammlungen für die Allgemeinheit zu bewerten. Und in diesem Sinne wollte auch Goethe seine zu Lebzeiten eifersüchtig behüteten Sammlungsschätze nach sei­nem Tode behandelt wissen.

Das Sammeln ist stets die nach persönlichen Interessen vorgenom­mene Tätigkeit Einzelner, die erst beim Übergang des privaten Samm­lungsbesitzes in die öffentliche Hand in das Bewusstsein der Öffent­lichkeit gelangt. Manche Kritiker gefallen sich darin, die neu ent­stehenden »Sammlermuseen« als höchst fragwürdige Einrichtungen zu bezeichnen, ohne zu berücksichtigen, dass nahezu alle Museen ehe­mals nichts anderes als »Sammlermuseen« waren, für die dann im Laufe der Entwicklung die öffentliche Hand die Verantwortung über­nommen hat. Museen leben nicht nur zu einem guten Teil von der Sammeltätigkeit privater Kunstliebhaber und ihrem Mäzenatentum; sie sind aus diesem Impuls geboren. Die Veröffentlichung privater Kunstschätze ist also im unbedingten Interesse der Allgemeinheit, da sie nur auf diese Weise teilhat an einem sonst abgeschlossenen Bereich ihrer eigenen Kultur. Denn Kunst ist auch eine ausdrückliche Form des kulturellen Gedächtnisses der Gesellschaft, das im Museum bewahrt bleibt oder sich, im Falle der Gegenwartskunst, in Ausstellungen kon­stituiert. [...]

Katalogauszug "just what is it..."
Herausgeber: Götz Adriani und Peter Weibel, Ostfildern (Hatje Cantz), 2009

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