ZKM | Museum für Neue Kunst  05.12.2009 - 11.04.2010
 
100 Jahre Kunst der Moderne
aus privaten Sammlungen in Baden-Württemberg
10 Jahre Museum
für Neue Kunst im ZKM

Sammlung Grässlin, St. Georgen
Im Bereich der Gegenwartskunst sind in den vergangenen Jahren eine Reihe beachtenswerter Privatsammlungen entstanden, deren herausragendes Kennzeichen der direkte Kontakt des Sammlers mit den Künstlern seiner eigenen Generation und ihren Werken ist. Die Familie Grässlin gehört zu diesem Kreis. Im Gegensatz zu anderen Privatsammlungen kann man die Sammlung Grässlin jedoch als ein Gruppenunternehmen, als eine Art Kollektiv betrachten, an dem die fünf Familienmitglieder – Anna, Bärbel, Thomas, Sabine und Karola Grässlin – beteiligt sind und in dem sich unterschiedliche Positionen ­widerspiegeln.

Die Wurzeln der Sammlung Grässlin liegen in den 1970er-Jahren, als die Eltern Dieter und Anna Grässlin begannen, ­Werke des deutschen Informel zu erwerben. Dass es sich hierbei um Namen handelt, die heute klassische kunsthistorische Werte verkörpern, wie zum Beispiel Carl Buchheister (1890–1964), Jean Fautrier (1898–1964), Karl Otto Götz (* 1914), Gerhard Hoehme (1920–1989), Emil Schumacher (1912–1999) oder Wols (Wolfgang Schulze, 1913–1951), spricht für den sammlerischen Mut und die Weitsicht des Ehepaares.

Ihre Kinder begannen 1981, Künstlerpositionen der 1980er-Jahre zu sammeln. Ihr Augenmerk richtete sich dabei erneut auf die Kunst der unmittelbaren Gegenwart, worin nicht nur der Glaube an die Kräfte dieser Kunst zum Ausdruck kam, sondern gleichzeitig auch das Bedürfnis, sich mit dem Neuen auseinanderzusetzen. Ein riskantes Unterfangen, denn die Kunst der 1980er-Jahre war keineswegs gefällig und bei Weitem nicht unumstritten. Vielmehr wurden Werke von Werner Büttner (*1954), Martin Kippenberger (1953–1997), Albert Oehlen (*1954) und Markus Oehlen (*1956) wie auch die plastischen Arbeiten von Günther Förg (*1952), Isa Genzken (*1948), Georg Herold (*1947), Hubert Kiecol (*1950), [Nikolaus] Meuser (*1947), Reinhard Mucha (*1950) oder Franz West (*1947) als sperrig, zynisch oder gar anmaßend empfunden, handelte es sich doch um Positionen, die durch Ironie und Desavouierung dem bürgerlichen Verständnis von zeitgenössischer Kunst widersprachen.

Aber nicht nur die Werke allein, sondern auch die Kontakte zu den Künstlern, aus denen oft Freundschaften entstanden, rückten von Anfang an in den Vordergrund des Interesses. So lebte zum Beispiel Martin Kippenberger von 1980 bis 1981 und von 1991 bis 1994 bei der Familie Grässlin in St. Georgen im Schwarzwald und fand hier eine Wahlheimat, in die er immer wieder zurückkehrte. In dieser Zeit schuf er in der Bergstadt Schlüsselwerke, die einen wichtigen Grundstock der Sammlung Grässlin bilden.

Seit Anfang der 1990er-Jahre wird die Sammlung durch inter­nationale Positionen wie die von Kai Althoff (*1966), Michael Beutler (*1976), Cosima von Bonin (*1962), Tom Burr (*1963), Clegg & Guttmann (Michael Clegg, *1957; Martin Guttmann, *1957), Mark Dion (*1961), Kalin Lindena (*1977), Michael Krebber (*1954), Christian Philipp Müller (*1957), Stefan Müller (*1971), Tobias Rehberger (*1966), Christopher Williams (*1956) oder Heimo Zobernig (*1958) erweitert, die sich mit konzeptionellen Fragestellungen und Ortsbezogenheit auseinandersetzen.

Das Konzept der Sammlung Grässlin zeichnet sich dadurch aus, dass die Familienmitglieder sich auf ausgewählte Künstler der 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahre konzentrieren, von denen sie Werke aus allen wichtigen Schaffensphasen zusammentragen. Oft handelt es sich dabei um raumgreifende Werkblöcke, die eher in einen Museumskontext als in eine Privatsammlung passen. Umso wichtiger war es für die Familie, durch den Kunstraum Grässlin der im Jahr 2006 in St. Georgen eröffnet wurde und ihre Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Konzept der Sammlungspräsentation setzt auf eine Vernetzung mit der lokalen Stadtstruktur.

Neben dem Kunstraum Grässlin besteht bereits seit 1995 das Projekt Räume für Kunst, das leer stehende Ladenlokale, aber auch den Plenarsaal des Rathauses, den Stadt­garten sowie die Privathäuser der Familienmitglieder als Ausstellungsorte nutzt. Der Museumsbesuch wird so zum Stadt­spaziergang. Im jährlichen Wechsel werden im Kunstraum Grässlin und in den externen Räumen für Kunst Werke aus dem Sammlungsbestand präsentiert, um so ein subjektives, aber repräsentatives Panorama des heutigen Kunstschaffens zu bieten.

www.sammlung-graesslin.eu
Sammlung Graesslin
KUNSTRAUM GRÄSSLIN, St. Georgen, Außenansicht
(mit einem Werk von Franz West)