ZKM | Museum für Neue Kunst  05.12.2009 - 11.04.2010
 
100 Jahre Kunst der Moderne
aus privaten Sammlungen in Baden-Württemberg
10 Jahre Museum
für Neue Kunst im ZKM

Sammlung Marli Hoppe-Ritter
In der bildenden Kunst gilt das Quadrat mit seinen in der Natur nicht existenten rechten Winkeln bis heute als reinste Form von Abstraktion. Kasimir Malewitsch (1878–1935) hat 1915 mit Schwarzes Quadrat auf weißem Grund eine Ikone des abstrakten Gestaltens und ein Symbol für den radikalen künstlerischen Neuanfang fern jeglicher Gegenständlichkeit und Zweckgebundenheit geschaffen. Eine kleine suprematistische Zeichnung dieses Künstlers steht daher am Beginn der Sammlung Marli Hoppe-Ritter, die sich auf das Quadrat in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisiert hat. Die Miteigentümerin der Firma RITTER SPORT hat ihrer Sammlung damit ein weltweit einzigartiges Profil verliehen.

Für Kunst interessierte sich Marli Hoppe-Ritter bereits in jungen Jahren. Angeregt durch Gemälde des 18. und 19. Jahrhunderts im Elternhaus, richtete sich ihr Kunstinteresse zunächst auf die Klassische Moderne und zeitgenössische Kunst. Sie begann ab Mitte der 1980er-Jahre, bildende Künstlerinnen und Künstler in Baden-Württemberg zu fördern. Initialzündung für die Idee einer Sammlung zum Thema »Das Quadrat in der Kunst« war der Besuch der Ausstellung Von zwei Quadraten im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen im Jahr 1986. Danach begann sie, sich intensiv mit geometrisch-abstrakter Kunst zu befassen. Anfang der 1990er-Jahre erwarb sie auf der Art Cologne das erstes Werk für ihre Sammlung: eine Postkarte von Sol LeWitt (1918–2007), auf deren Rückseite der Künstler ein dick schraffiertes Quadrat gezeichnet hatte. Mittlerweile ist die Sammlung auf rund 800 Kunstwerke angewachsen und dokumentiert die Entwicklung der geometrisch-abstrakten Kunst von ihren Anfängen in den 1910er-Jahren bis heute.

Die Pioniere der konstruktiv-konkreten Kunst sind mit Bildern und Zeichnungen von Theo van Doesburg (1883–1938), El Lissitzky (1890–1941), Kasimir Malewitsch, Nicolaj Suetin (1897–1954) und Ilja Tschaschnik (1902–1929) vertreten. Daneben finden sich Arbeiten von Bauhaus-Künstlern wie Josef Albers (1888–1976) und Johannes Itten (1888–1967) sowie von Vertretern der Künstlergruppe »die abstrakten hannover« mit Carl Buchheister (1890–1964), Rudolf Jahns (1896–1983), Kurt Schwitters (1887–1948) und Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899–1962). Sie alle verfolgten eine strenge, geometrische Darstellungsweise, die sich ganz vom Gegenständlichen losgelöst hatte.

Während die Zürcher Konkreten mit Max Bill (1908–1994), Camille Graeser (1882–1980), Richard Paul Lohse (1902–1988) und Verena Loewensberg (1912–1986) das Quadrat kanonisierten, kam die geometrische Form in den 1950er- und 1960er-Jahren durch die kinetische Kunst und die mit ihr verwandte Op-Art in Bewegung. Diese Richtungen werden von Künstlern wie Martha Boto (1925–2004), Karl Gerstner (*1930), Heinz Mack (*1931), Christian Megert (*1936), Jesús Rafael Soto (1923–2005), Gregorio Vardanega (*1923) und Victor Vasarely (1908–1997) ­repräsentiert. Einen weiteren Sammlungsschwerpunkt dieser Zeit bildet darüber hinaus ein Werkkonvolut zur italienischen Kunstströmung der Arte Programmata. Die Bandbreite der Sammlung umfasst zudem neuere geometrische Kunst zum Beispiel von Bob Bonies (*1937), Gottfried Honegger (*1917), Vera Molnàr (*1924), François Morellet (*1926), Nelly Rudin (*1928) und Anton Stankowski (1906–1998).

Dass die Sammlerin ihr Konzept offen und undogmatisch begreift, belegt eine große Zahl aktueller Kunstwerke, etwa von Waltraut Cooper (*1937), Imi Knoebel (*1940), Jonathan Monk (*1969), Paola Pivi (*1971), Anatoly Shuravlev (*1963), Francesco Vezzoli (*1971) oder Beat Zoderer (*1955). Diese ­Arbeiten stehen weniger in der strengen Traditionslinie geometrisch-abstrakten Kunstschaffens, sondern basieren auf einem eher individualistischen, oft humoristischen und immer originellen Umgang mit der quadratischen Form. Gerade die jüngsten Werke der Sammlung führen vor Augen, dass das Interesse am Quadrat in fast einem Jahrhundert Kunstgeschichte nichts an Aktualität verloren hat, wodurch das Sammlungskonzept lebendig und in die Zukunft gerichtet bleibt: »Mit der Konzentration auf das Quadrat habe ich die Möglichkeit, eine Sammlung aufzubauen, die in die Tiefe geht. Das Quadrat hat sich dabei als ein Motiv mit unerwartetem Potenzial erwiesen«, so Marli Hoppe-Ritter.

Dieses Potenzial können Kunstinteressierte seit September 2005 im Museum Ritter in Waldenbuch entdecken. Der Schweizer Architekt Max Dudler (*1949) hat ein kubisches Museumsgebäude entworfen, das direkt neben der Firma elegant und unprätentiös wie eine Skulptur am Rande des Naturparks Schönbuch liegt. 700 Quadratmeter Ausstellungsfläche bieten der Kunst auf zwei Etagen repräsentative und großzügige Entfaltungsmöglichkeiten. Neben der Bewahrung, Vermittlung und Präsentation des eigenen Sammlungsbestands zeigt das Museum jährlich drei bis vier Sonderausstellungen, die thematisch an sammlungsspezifische Inhalte anknüpfen.

Text: Gerda Ridler

www.museum-ritter.de
Sammlung Ritter
Museum Ritter, Waldenbruch, Außenansicht
(mit einem Werk von Waltraut Cooper)

Sammlung Ritter
Museum Ritter, Waldenbruch, Innenansicht mit Blick in die Ausstellung Bildertausch 3
(mit einem Werk von Jürgen Paas)