zkm2010
 



Konversationskunst
Kurd Alsleben, Antje Eske
und Freunde

16. Oktober 2010 – 9. Januar 2011
ZKM | Medienmuseum
Projektraum

Historische Konversationsspiele
Antje Eske

I. Renaissance
Spiel des Gaspar Pallavicino
Spiel des Unico Aretino
Spiel des Federico Fregoso

II. Barock
Portraitmalen
Gazettes de plusieurs endroits

III. Übergang Barock / Rokoko
Idyll und Tanz
Loteries poétiques

IV. Rokoko
Parfilage
Mot d’esprit – Portraitmalen im Rokoko
Schiffchenspiel


I. Renaissance
Am Hof der Herzogin von Urbino, Elisabetta Gonzaga, trafen sich ab 1503 Adelige und Patrizier, Frauen und Männer in konversationeller Runde. Ihre Spiele beschrieb Baldessare Castiglione in Il Cortigiano (Der Hofmann).[1]

Spiel des Gaspar Pallavicino
Ein jeder möge „die Tugenden angeben, deren Schmuck er am liebsten am geliebten Wesen sähe, und weil denn jeder Mensch seine Fehler haben muss, auch die Fehler nennen, die ihm am wenigsten missfielen.“[2] Auf diese Weise konnten alle erfahren, welches die Vorzüge und darüber hinaus die gerade noch tolerierbaren Laster waren. Die Runde in der Sala delle Veglie im Palazzo Duccale formulierte damit eine Art Charakterbild des Renaissancemenschen.

Spiel des Unico Aretino
Das Spiel bezog sich auf Elisabetta Gonzaga, die einen Skorpion als Stirnband trug. „... jeder von uns soll sagen, was er über die Bedeutung des Buchstabens S denkt, den die Frau Herzogin an der Stirne trägt.“[3] Unico Aretino beschrieb es selbst als Erster in einem kunstvollen Sonett, bei dem die Wörter fast nur mit S beginnen, sodass niemand an eine Improvisation glaubte.

Spiel des Federico Fregoso
Bei diesem Spiel sollte einer aus dem Urbineser Kreis Bedingungen und Eigenschaften eines vollkommenen Hofmannes darstellen sollte. Die Spielregeln entstanden danach im Einzelnen in der Gruppe. Die entschied sich ausdrücklich für denjenigen, der dieser Aufgabe voraussichtlich am wenigsten gerecht werden konnte, um dadurch Widerspruch hervorzulocken und Diskussionen anzuzetteln.


II. Barock
Portraitmalen
Das Spiel des Portraitmalens, das bereits ab 1610 im Salon der Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet in Paris gespielt wurde, wurde von Marie de Bourbon, Duchesse de Monpensier aufgenommen und von Madeleine de Scudéry zur Blüte gebracht.
Es ging um Selbstdarstellung oder das Porträtieren Anderer mit Worten. Dabei konnten beziehungsreiche Namen aus der griechischen Mythologie verwendet werden, wobei der Rang der Figur dem Stand des jeweils Porträtierten angemessen zu sein hatte. Im Enträtseln bestanden Aufgabe und Vergnügen. Diese Art Unterhaltungsspiel knüpfte „zwischen Personen ein Netz sich kreuzender Linien. [...] Der kleine Kreis der Porträtierten [...] nahm mit Einspruch oder neuer Nuancierung aufeinander Bezug.“[4]

Gazettes de plusieurs endroits
Die allegorischen Gazettes de plusieurs endroits verlangten von den Salongästen, in der literarischen Travestie in die Rolle eines Helden der bewunderten Romane zu schlüpfen und dessen vermeintliche Erlebnisse zu erzählen. So dachte sich in einer Nacht Julie de Rambouillet [Tochter der Catherine de Rambouillet] die an die Figur des Amadis angelehnte Histoire d’Alcidalis et de Zélide aus. Spielerisch und unterhaltsam übten sich die [...] [Habitués/SalongängerInnen] im Verfahren des Erzählens und in der freien Verfügung über das Vorgegebene und den eigenen Einfall.“[5]


III. Übergang Barock / Rokoko
Idyll und Tanz
Anne-Louise-Bénédicte, Herzogin du Maine, eröffnete ihren Salon in einem Schloss in der Champagne um ca. 1700. Die geladenen TeilnehmerInnen suchten dort das ländliche Idyll auf, spielten Schäferin und Schäfer und sagten einander im Hirtengewand Liebenswürdigkeiten, tanzten Menuette und Gavotten auf dem Rasen.

Loteries poétiques
Dort wurde auch das Konversationsspiel Loteries poétiques gespielt, bei dem aus einem Pompadour ein Buchstaben des Alphabets gezogen wurde: Zum Beispiel bedeutete A Arie oder Apotheose, O Ode oder Oper, S Sonett. Das Ziehen eines solchen Anfangsbuchstabens enthielt die Aufforderung, ein entsprechendes kleines Werk zu schaffen. Beim nächsten Zusammentreffen musste es der Salon-Offiziosität vorgestellt werden.[6]Geschummelt wurde schon damals, denn die, die es sich leisten konnten, ließen schreiben.


IV. Rokoko
Parfilage
Zehn Jahre lang grassierte im Salon der Marie Anne de Vichy-Chamrond, Marquise du Deffand, um 1753 die Mode des parfilage. Dies bedeutete, dass die Damen den Herren regelrecht an die Wäsche gingen, um „allerlei Goldgesticktes [zu] verzupfen. [...] Die Mode nahm so überhand, dass goldbetresste Herren sich vor den Händen der zupfenden Schönen kaum zu retten vermochten.“[7] Man zupfte, um sich parfilage-Geschenke zu machen, zum Beispiel goldene Eier, die nach Wundertüten- oder Überraschungseier-Art kleine Geschenke in ihrem Inneren verborgen hielten, aber auch um mit dem gewonnenen „Gold“ Geld-, Spiel- oder Kleiderschulden zu tilgen. [8]

Mot d’esprit – Portraitmalen im Rokoko
Marie Anne du Deffand kristallisierte auch das für ihr Jahrhundert so kennzeichnende Mot d’esprit heraus. Die Schattenseite des Esprits, das Lächerlichmachen von Anderen und die unerbittliche Schärfe, mit der das Bloßstellen betrieben wurde, zeigten sich im Spiel des Portraitmalens.
Der folgende Ausschnitt des Portraits, das Marie Anne du Deffand von ihrer Cousine Emilie du Chatelêt [9] zeichnete, macht auch die veränderte Auffassung gegenüber den barocken Portraits deutlich:
„Stellen Sie sich eine große und dürre Frau vor, ohne Hintern, ohne Hüften, mit schmaler Brust, zwei kleinen, kaum wahrnehmbaren Brüsten, dicken Armen, dicken Beinen, ungeheuren Füßen, einem winzigen Kopf, einem kantigen Gesicht, einer spitzen Nase, zwei kleinen meergrünen Augen, einem dunklen, roten, hitzigen Teint, einem flachen Mund, mit nur noch wenigen, ganz verdorbenen Zähnen. Das ist das Äußere der schönen Emilie, ein Äußeres, mit dem sie so zufrieden ist, daß sie es an nichts fehlen lässt, um es zur Geltung zu bringen: Volantskräuseln, Troddeln, Edelsteine, gläserne Klunker, alles in Hülle und Fülle; doch da sie wider die Natur schön und trotz mangelnden Vermögens prachtvoll sein will, ist sie häufig gezwungen, auf Strümpfe, Hemden, Taschentücher und andere Kleinigkeiten zu verzichten. [...] Man könnte sagen, die Existenz der göttlichen Emilie sei nichts als Blendwerk: sie hat sich dermaßen bemüht, als etwas zu erscheinen, was sie nicht war, dass man nicht mehr weiß, was sie wirklich ist. Vielleicht sind ihr sogar ihre Fehler nicht von Natur aus gegeben, sondern könnten ihren Ambitionen zuzuschreiben sein: ihre Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit dem Anspruch auf die Stellung einer Prinzessin, ihre Langweiligkeit und Zerstreutheit dem Anspruch eine Gelehrte zu sein, ihr kreischendes Lachen, ihre Grimassen und Verrenkungen dem Anspruch, eine hübsche Frau zu sein. Doch selbst die Erfüllung so vieler Prätentionen hätte nicht genügt, sie so berühmt zu machen, wie sie es gerne sein wollte: Um berühmt zu sein, muss man gefeiert werden, und das ist ihr gelungen, indem sie die erklärte Geliebte von Monsieur de Voltaire wurde. Er machte sie zum Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit und zum Thema privater Gespräche; ihm wird sie es verdanken, wenn sie in den künftigen Jahrhunderten weiterlebt, und bis dahin verdankt sie ihm das, was einen im gegenwärtigen Jahrhundert leben lässt.“[10]

Schiffchenspiel
Das Spiel, das unter anderem im Salon Le Temple des Prinzen von Conti und seiner Salonière Marie-Charlotte Comtesse de Boufflers gespielt wurde, hatte folgende Regel: „Man nahm an, die SpielerIn sei mit zwei Personen, die sie am meisten liebte oder lieben sollte, im Begriff unterzugehen und könne nicht mehr als eine retten […].“[11]Die junge, hübsche Schwiegertochter der Comtesse de Boufflers musste sich vorstellen, mit ihrer Schwiegermutter und ihrer Mutter, die sie kaum kannte, im gleichen Boot zu sitzen. Sie antwortete auf die Frage, wen sie retten würde: „Meine Mutter würde ich retten und mich mit meiner Schwiegermutter ertränken.“[12]


[1] Baldassare Castiglione, Der Hofmann Lebensart in der Renaissance, Wagenbach, Berlin, 1996.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Margarete Zimmermann, und Roswitha Böhm (Hg.), Französische Frauen der Frühen Neuzeit, Primus-Verlag, Darmstadt, 1999.
[5] Renate Baader, „Heroinen der Literatur. Die französische Salonkultur im 17. Jahrhundert“, in: Bettina Baumgärtel und Silvia Neysters, Die Galerei der Starken Frauen, Klinkhardt & Biermann, München/Berlin, 1995.
Amadis ist der Held einer Gruppe von Ritterromanen des Spätmittelalters. Die Figur geht auf einen portugiesischen Prosaroman zurück, der wahrscheinlich um 1370 von Vasco de Lobeira geschrieben wurde. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Amadis_de_Gaula.
[6] Der Begriff  „offiziös“, mit der Bedeutung zwischen „privat“ und „öffentlich“, wurde von Claudia Schmölders 1993 geprägt, während ihrer Seminare als Gastprofessorin an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, wo sie auf Einladung von Kurd Alsleben, Matthias Lehnhardt und Antje Eske unterrichtete
[7] Alexander von Gleichen Russwurm, Das galante Europa, Hoffmann, Stuttgart, 1910.
[8] Vgl. Alexander von Gleichen Russwurm, Das galante Europa, Hoffmann, Stuttgart, 1910.
[9] Emilie du Chatelêt führte mit Voltaire zusammen in Cirey einen Salon, der schnell zum französischen Zentrum der newtonschen Wissenschaft wurde und enge Beziehungen zu Friedrich dem Großen und den Akademien der Wissenschaften in Berlin, Skandinavien und Russland pflegte.
[10] Marie Anne du Deffand, „Correspondance littéraire“ [März 1777], zitiert nach: Elisabeth Badinter, Emilie, Emilie: Weiblicher Lebensentwurf im 18. Jahrhundert, Piper-Verlag, München, Zürich, 1983.
[11] Ebd.
[12] Ebd.