Rede zur Eröffnung der interdisziplinären Computerei der Hochschule für bildende Künste Hamburg am 14. Juni 1988 mit Tonbandgrüssen von Konrad Zuse Kurd Alsleben [1988] Liebe Gäste,
Lieber Herr Kollege Brunnstein! Lieber Herr Jarmer! Liebe Studentinnen und Studenten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kürpig, lieber Herr Kritzmann, lieber Herr Öhms – In den internen mühevollen Jahren der Beschaffung (seit Mitte 1985) - Herr Brunnstein hat uns dabei sehr geholfen - sind uns die Computer, die hier stehen, ans Herz gewachsen; und wir sind stolz auf sie. – Lieber Carl Vogel! Wir haben die Freude und Ehre, dass uns Konrad Zuse zur heutigen
Eröffnung unserer künstlerischen, interdisziplinären Computerei Glückwünsche sendet. Konrad Zuse hat 1937 den ersten programmgesteuerten Computer gebaut und manche von Ihnen werden darum überrascht sein zu hören, dass er auch Maler ist. Stilistisch sind seine Bilder auf der Höhe seiner Altersgenossen um 1910: Nicolas Schöffer und die abstrakten Expressionisten. Für uns hier ist nicht so sehr eine individuelle Doppelbegabung interessant, als vielmehr die Möglichkeit, eine große Nähe zu sehen zwischen künstlerischer Arbeit und informationstechnologischem Erfindertum. Konrad Zuse hat seine Grüße für uns aufs Tonband gesprochen: Konrad Zuse: „Ich freue mich, seit langen
Jahren Herrn Alsleben einmal wiedergetroffen zu haben. Damals wurden auf dem Gebiet der Computergrafik die ersten Theorien aufgestellt und mit den noch recht bescheidenen Mitteln die ersten Arbeiten durchgeführt. Allerdings war die Zeit dafür noch nicht reif. Heute haben wir sehr leistungsfähige Computer und ich freue mich, dass Ihre Kunsthochschule jetzt auch ein solches Werkzeug zur Verfügung hat. Ein Werkzeug soll es bleiben, denn wir wollen nicht den Künstler durch den Computer ersetzen. Ich hoffe, dass Ihre Hochschule wichtige Beiträge leisten wird und wünsche Ihnen einen guten Erfolg.“ Nehme ich nun für meinen Vortrag als mnemotechnische
Idee, heute an meinem 60. Geburtstag, meine Lebenszeit und viertele sie spielerisch, so treffen wir auf folgende wichtige Jahre: 1 / 2 :
Meine Lebenszeit halbierend, treffe ich auf die Zeit kurz vor 1960: Konrad Zuse baute damals einen der ersten Plotter (Graphomat Z 64 - ein Aus- und Eingabegerät). Es wurden, von Künstlern und Wissenschaftlern gemeinsam, mit den Plottern die ersten Computergrafiken gemacht: Gebrüder John und James Whitney (Zeichen-Film), ich, Kurd Alsleben, und mein Freund Cord Passow (freie Zeichnungen), William Fetter bei Boeing-Company (Design-Zeichnungen). Wenn verschiedentlich und immer wieder geredet und geschrieben wird, „…, dass es ausschließlich Wissenschaftler und Mathematiker gewesen sind, die Computerkunst den Weg geebnet haben“ fälscht die Geschichte. Ich selbst erwartete damals via Computerzeichnung so etwas wie eine intime Nachricht aus dem Computer und überlegte, wie ich ihm meine Wahrnehmungsmöglichkeiten eingeben könnte. Die damals allgemein und auch gelegentlich noch heute akute Frage, ob Computer Kunst machen könnten, hatte ich nicht. Ebenso gut könnte man doch fragen, ob ein Computer mir mein Bier trinken könne. So wie er nicht meinen Genuss oder mein Wahrnehmen vollziehen kann, so kann er auch nicht mitmenschlich wahrgeben. (Es ist klar, er kann etwas ausgeben, das Kunst völlig gleicht.) Aber in der Kunst bin ich an mitmenschlicher Mitteilung und Antwort interessiert. Persönliche Botschaft tut mir not. 1 / 4 :
Beim Vierteln meiner Lebensjahre treffe ich erstens auf die Jahre um 1940: 1936 bis 1941 entwickelte Konrad Zuse in Berlin die ersten programmgesteuerten Computer der Welt: Z1 bis Z3. Ich war als 15-jähriger Flakhelfer an einem Scheinwerfer damals auch in Berlin und funktionierte als lebendes Stellglied in einem kybernetischen Regelkreis, was ich auch in dieser Weise wahrnahm, obwohl es die Begriffe noch nicht gab. Die Kybernetik wurde in diesen Jahren von Hermann Schmidt und in USA von Norbert Wiener formuliert. In Norwegen als Bediener eines großen, vielleicht des damals größten Radarschirmes entwickelte der Maler Karl Otto Götz - Franz Erhard Walthers Lehrer - die Idee elektronischer Bilder. In den 60er-Jahren war er einer der Künstler der Informationsästhetik. 3 / 4 :
Zweitens treffe ich beim Vierteln nahe auf die ersten 70er-Jahre: In unserer Hamburger Kunsthochschule experimentierten wir hier in diesem Raum 126 viele Semester lang mit Randlochkarten und verschiedenen Lerngeräten u.a. vom NDR. Alle diese Medien waren interaktivisch und darin heutigen personalen Computern vergleich- bar. Mein Freund Matthias Lehnhardt formulierte das Prinzip “Rück- koppelung durch Produktion“ und die Material-Form wurde in verschiedenen Erscheinungen wie z.B. Antje Eskes Material-Ordner Die Rolle der Frau in der Geschichte der Karikatur [1] als auf Ant- wort hin angelegte Ausdrucksmöglichkeit verwirklicht. Es war die Zeit der Ideen der Sozialen Plastik und der Medienzentrenkultur. Formen des Austausches wurden probiert. 0 / 1 :
Nun zum Beginn und zum Heute meiner, hier mnemotechnisch unterlegten, bisherigen Lebenszeit: Beginn war 1928. Der Rundfunk und entsprechend das Fernsehen entschieden sich Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre gegen die Möglichkeit des Austauschs von Sender und Empfänger für eine monologische einseitige Form der Kommunikation. Im 19. Jahrhundert gab es eine deutliche Tendenz, sich von der im Leitmedium Buch vorgeschriebenen monologischen Form in Richtung auf Austausch und Dialog hin zu lösen: siehe die Briefe der Romantikerinnen und deren Salons, in denen man übrigens auch aquarellierte, siehe die Reihen der Türme optischer Telegrafen, die Rodolfe Töpfer so schön karikierte, siehe die Flaggensignale zwischen den Segelschiffen, siehe den Morse-Telegraf, Morse war übrigens ein Maler, und die Verbreitung des Telefons. Bertold Brechts berühmte Radiotheorie-Rede war gewissermaßen ein krönender letzter Versuch dieser Richtung. 1 / 1 :
1988 ist heute: Unsere Personalen Computer haben, so wie sie hier stehen, heute nach 60 Jahren, diese dialoghafte, netzige, interaktivische Technik. Ihr entsprechende künstlerische Formen, also der entwickelte Ausdruck unserer Einstellung zu ihr, sind nicht entwickelt. Ich möchte Sie mit meiner Rede auf diesen Punkt aufmerksam machen, damit sie bei Computerkunst nicht nur an Schick oder Rationalisierung denken. Es ist von unvergleichlicher blinder Süße, neue Formen, Erscheinungsformen zu finden. Die Süße ist, als wäre Sie gustativ vorn im Munde zu schmecken - ähnlich der im Augapfel empfindbaren Sucht nach den Farblichtern des Monitors - „blind“ bedeutet wohl einerseits die Beschränkung des Gesichtsfeldes, die jedes Handeln mit sich bringt und andererseits eine Art ab und zu aufklarender Nebelwand von Unbekanntem dicht vor den Augen. [Erstveröffentlichung in: Kurd Alsleben, Matthias Lehnhardt (Hg.): Gesänge über dem Lerchenfeld. Beiträge zur Datenkunst, Material-Verlag, HFBK Hamburg, Hamburg, 1994, S. 11-17.] [1] Antje Eske, Angelika Meyer, Von der Großen Mutter zur Heiligen und Hure. Die Rolle der Frau in der Geschichte der Karikatur, Material-Verlag, HFBK Hamburg, Hamburg, 1983. |