zkm2010
 



Konversationskunst
Kurd Alsleben, Antje Eske
und Freunde

16. Oktober 2010 – 9. Januar 2011
ZKM | Medienmuseum
Projektraum

Rede zur Eröffnung der interdisziplinären Computerei der Hochschule für bildende Künste Hamburg am 14. Juni 1988 mit Tonbandgrüssen von Konrad Zuse

Kurd Alsleben
[1988]

Liebe Gäste,
Lieber Herr Kollege Brunnstein!
Lieber Herr Jarmer!
Liebe Studentinnen und Studenten!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kürpig, lieber Herr Kritzmann, lieber Herr Öhms – In
den internen mühevollen Jahren der Beschaffung (seit Mitte 1985)
-  Herr Brunnstein hat uns dabei sehr geholfen - sind uns die
Computer, die hier stehen, ans Herz gewachsen; und wir sind stolz auf sie. –

Lieber Carl Vogel!

Wir haben die Freude und Ehre, dass uns Konrad Zuse zur heutigen
Eröffnung unserer künstlerischen, interdisziplinären Computerei
Glückwünsche sendet.
Konrad Zuse hat 1937 den ersten programmgesteuerten Computer
gebaut und manche von Ihnen werden darum überrascht sein zu hören, dass er auch Maler ist. Stilistisch sind seine Bilder auf der Höhe
seiner Altersgenossen um 1910: Nicolas Schöffer und die
abstrakten Expressionisten. Für uns hier ist nicht so sehr eine
individuelle Doppelbegabung interessant, als vielmehr die Möglichkeit,
eine große Nähe zu sehen zwischen künstlerischer Arbeit und
informationstechnologischem Erfindertum. Konrad Zuse hat seine
Grüße für uns aufs Tonband gesprochen:

Konrad Zuse: „Ich freue mich, seit langen
Jahren Herrn Alsleben einmal wiedergetroffen zu haben.
Damals wurden auf dem Gebiet der Computergrafik die
ersten Theorien aufgestellt und mit den noch recht
bescheidenen Mitteln die ersten Arbeiten durchgeführt.
Allerdings war die Zeit dafür noch nicht reif.
Heute haben wir sehr leistungsfähige Computer und ich
freue mich, dass Ihre Kunsthochschule jetzt auch ein
solches Werkzeug zur Verfügung hat. Ein Werkzeug soll
es bleiben, denn wir wollen nicht den Künstler durch
den Computer ersetzen. Ich hoffe, dass Ihre Hochschule
wichtige Beiträge leisten wird und wünsche
Ihnen einen guten Erfolg.“

Nehme ich nun für meinen Vortrag als mnemotechnische
Idee
, heute an meinem 60. Geburtstag, meine Lebenszeit und
viertele sie spielerisch, so treffen wir auf folgende wichtige Jahre:

1 / 2 :
Meine Lebenszeit halbierend, treffe ich auf die Zeit kurz vor 1960:
Konrad Zuse baute damals einen der ersten Plotter
(Graphomat Z 64 - ein Aus- und Eingabegerät).
Es wurden, von Künstlern und Wissenschaftlern gemeinsam, mit den
Plottern die ersten Computergrafiken gemacht:
Gebrüder John und James Whitney (Zeichen-Film), ich, Kurd Alsleben,
und mein Freund Cord Passow (freie Zeichnungen), William Fetter bei
Boeing-Company (Design-Zeichnungen).
Wenn verschiedentlich und immer wieder geredet und geschrieben
wird, „…, dass es ausschließlich Wissenschaftler und Mathematiker
gewesen sind, die Computerkunst den Weg geebnet haben“
fälscht die Geschichte.
Ich selbst erwartete damals via Computerzeichnung so etwas wie
eine intime Nachricht aus dem Computer und überlegte, wie ich ihm
meine Wahrnehmungsmöglichkeiten eingeben könnte. Die damals
allgemein und auch gelegentlich noch heute akute Frage, ob Computer
Kunst machen könnten, hatte ich nicht. Ebenso gut könnte man doch
fragen, ob ein Computer mir mein Bier trinken könne. So wie er nicht
meinen Genuss oder mein Wahrnehmen vollziehen kann, so kann er
auch nicht mitmenschlich wahrgeben. (Es ist klar, er kann etwas
ausgeben, das Kunst völlig gleicht.) Aber in der Kunst bin ich an
mitmenschlicher Mitteilung und Antwort interessiert. Persönliche
Botschaft tut mir not.

1 / 4 :
Beim Vierteln meiner Lebensjahre treffe ich erstens
auf die Jahre um 1940: 1936 bis 1941 entwickelte Konrad Zuse in Berlin die ersten
programmgesteuerten Computer der Welt: Z1 bis Z3.
Ich war als 15-jähriger Flakhelfer an einem Scheinwerfer damals
auch in Berlin und funktionierte als lebendes Stellglied in einem
kybernetischen Regelkreis, was ich auch in dieser Weise wahrnahm,
obwohl es die Begriffe noch nicht gab. Die Kybernetik wurde in
diesen Jahren von Hermann Schmidt und in USA von Norbert Wiener
formuliert.
In Norwegen als Bediener eines großen, vielleicht des damals
größten Radarschirmes entwickelte der Maler Karl Otto Götz
- Franz Erhard Walthers Lehrer - die Idee elektronischer Bilder. In den
60er-Jahren war er einer der Künstler der Informationsästhetik.

3 / 4 :
Zweitens treffe ich beim Vierteln nahe auf die
ersten 70er-Jahre:
In unserer Hamburger Kunsthochschule experimentierten wir hier
in diesem Raum 126 viele Semester lang mit Randlochkarten und
verschiedenen Lerngeräten u.a. vom NDR. Alle diese Medien waren
interaktivisch und darin heutigen personalen Computern vergleich-
bar. Mein Freund Matthias Lehnhardt formulierte das Prinzip “Rück-
koppelung durch Produktion“ und die Material-Form wurde in
verschiedenen Erscheinungen wie z.B. Antje Eskes Material-Ordner Die Rolle der Frau in
der Geschichte der Karikatur
[1] als auf Ant-
wort hin angelegte Ausdrucksmöglichkeit
verwirklicht.  Es war die
Zeit der Ideen der Sozialen Plastik und der Medienzentrenkultur.
Formen des Austausches wurden probiert.

0 / 1 :
Nun zum Beginn und zum Heute meiner, hier mnemotechnisch
unterlegten, bisherigen Lebenszeit:
Beginn war 1928. Der Rundfunk und entsprechend das Fernsehen entschieden sich Ende
der 20er-, Anfang der 30er-Jahre gegen die Möglichkeit des
Austauschs von Sender und Empfänger
für eine monologische einseitige
Form der Kommunikation.
Im 19. Jahrhundert gab es eine deutliche Tendenz, sich von der im
Leitmedium Buch vorgeschriebenen monologischen Form in Richtung auf Austausch und Dialog hin zu lösen:
siehe die Briefe der Romantikerinnen und deren Salons, in denen
man übrigens auch aquarellierte,
siehe die Reihen der Türme optischer Telegrafen, die Rodolfe
Töpfer so schön karikierte,
siehe die Flaggensignale zwischen den Segelschiffen,
siehe den Morse-Telegraf, Morse war übrigens ein Maler, und
die Verbreitung des Telefons.
Bertold Brechts berühmte Radiotheorie-Rede war gewissermaßen
ein krönender letzter Versuch dieser Richtung.

1 / 1 :
1988 ist heute:
Unsere Personalen Computer haben, so wie sie hier stehen, heute
nach 60 Jahren, diese dialoghafte, netzige, interaktivische Technik.
Ihr entsprechende künstlerische Formen, also der entwickelte
Ausdruck unserer Einstellung zu ihr
, sind nicht entwickelt. Ich
möchte Sie mit meiner Rede auf diesen Punkt aufmerksam
machen, damit sie bei Computerkunst nicht nur an Schick oder
Rationalisierung denken.
Es ist von unvergleichlicher blinder Süße, neue Formen,
Erscheinungsformen zu finden. Die Süße ist, als wäre
Sie gustativ vorn im Munde zu schmecken - ähnlich
der im Augapfel empfindbaren Sucht nach den
Farblichtern des Monitors - „blind“ bedeutet
wohl einerseits die Beschränkung des Gesichtsfeldes,
die jedes Handeln mit sich bringt und andererseits
eine Art ab und zu aufklarender Nebelwand
von Unbekanntem dicht vor den Augen.


[Erstveröffentlichung in: Kurd Alsleben, Matthias Lehnhardt (Hg.): Gesänge über dem Lerchenfeld. Beiträge zur Datenkunst, Material-Verlag, HFBK Hamburg, Hamburg, 1994, S. 11-17.]


[1] Antje Eske, Angelika Meyer, Von der Großen Mutter zur Heiligen und Hure. Die Rolle der Frau in der Geschichte der Karikatur, Material-Verlag, HFBK Hamburg, Hamburg, 1983.