Urheben Kurd Alsleben [1993] Der Text ist ein Vortrag von Kurd Alsleben auf den „1. Kieler Netztagen“ 1993 gehalten. Er stellt das Programm einer Kunst ohne die Idee Publikum dar. Der Mitbegründer des Chaos Computer Clubs, Wau Holland, lud Kurd Alsleben und Antje Eske anschließend zu einer Vortragsdiskussion auf dem zehnten. „Chaos Communication Congress“ am 29. Dezember 1993 nach Hamburg-Eidelstedt ein. Mündlich sollte ich kurz unsere [1] Entwicklung der Datenkunst [2] schildern, die darauf hinaus läuft, dass Kunst im Netz Verkehr ist, Austausch. Hinsichtlich des Themas „Urheberrecht“ folgt daraus ein Dilemma: In solcher Kunst ... gibt es keinen Künstlerautor [3], gibt es kein Werk [4], gibt es keine Vervielfältigung [5], gibt es keine Öffentlichkeit [6]. Einleitung [1] Ich komme von der interdisziplinären Computerei der Hochschule für bildende Künste (HfbK) Hamburg [8]. Unser dortiges Umfeld ist ein unter den datenkünstlerischen Initiativen lose abgesprochenes “Virtuelles Medienzentrum Hamburg“ (virtuHHM), das sind: Chaos Computer Club, Wau Holland; European Museums Network (EMN), Achim Lipp; Freies Telekommunikationszentrum, Jürgen Wieckmann; Interdisziplinäre Computerei, Kurd Alsleben; KükoCokü, Antje Eske; Music Media Lab, Manfred Stahnke; Ponton European Media Art Lab, Karel Dudesek; Connect - Virtuelle Europäische Kunsthochschule, Matthias Lehnhardt. [2] Datenkunst ist ein vom CCC her gut bekannter Begriff. Der Computernetzverkehr wurde international Anfang 1980 künstlerisch aufgegriffen. Auf wenige punktuelle, telematische Ereignisse folgten ab 1980 kommunikative, künstlerische Datenverkehre. Einige Namen mögen das hier veranschaulichen: Robert Adrian, ARTEX, Österreich; Roy Ascott, Großbritannien; Bill Bartlett, Kanada; Bruce Breland, DAX, USA; Wau Holland, Chaos Computer Club, Deutschland; Matthias Lehnhardt, Deutschland; Carl Loeffler, ACEN, USA. Einflussreich sind Peter Glasers Jugoslawisches Tagebuch, Achim Lipps Europäisches Museumsnetzwerk, Detlev Fischers Schwamm und PooL-Processing von Heiko Idensen und Matthias Krohn. Pontons große Piazza virtuale ist das Bestreben, die dialogischen Ideen mit einem Massenmedium zu verbinden. Ausführung [3] Ein Autor ist ein Sender. Beim Austausch dagegen möchte jeder vom Anderen etwas erfahren, etwas empfangen. Es gibt einen Übergangsbereich, das sind Partizipationskunst, Happening, Aktionskunst und elektronisch-interaktive Kunst. In diesen Kunstrichtungen geht es nicht um Austausch, sondern darum, seitens der Autoren Spielraum zu offerieren. Mit Austausch nicht zu verwechseln ist Koproduktion eines Werkes durch Koautoren. [4] Austausche, Verkehre, sind Vorgänge. Auch ein Werk kann ja Vorgang sein (z. B. Film). Der Unterschied zwischen Werk und Verkehr liegt vielmehr darin, dass zum Begriffsinhalt von Werk Publikum gehört, zum Austausch gehört kein Publikum. [5] Ein kommunikativer Austausch ist nicht wiederholbar, sondern nur fortsetzbar, anders als etwa ein Schauspiel, das wiederholt aufgeführt wird. Vervielfältigbar sind Rückstände von Austauschen wie Dateien, Videobänder, Mitschnitte usw., ebenso Abbildungen und Berichte, die aber eigene Werke sind. Trotz allem liegt in der geschilderten Kunst, die wir gerne telematische ars sermonis [7] nennen, auch die Intention der Verbreitung. [6] Der künstlerische, multisensorielle Kommunikationsaustausch, den wir erfahren und intendieren, geschieht nicht öffentlich, sondern in einem offiziösen Raum. Diese Offiziosität bildet einen Übergangsbereich zwischen intimem Dialog und Öffentlichkeit, in die sie hineinzustrahlen trachtet. Die Form des Trachtens ist uns unklar. [7] Austausch ist als schöne Kunst in der Geschichte gut bekannt: Ars sermonis ist die Gesprächskunst der Antike; in Barock und Rokoko ist es die einflussreiche Konversationskunst der Salons, deren gestaltendes Medium Sprache war. Das elektronische Medium ist gesamtsensorisch und interaktiv (Mensch/Mensch im Netz). Anhang [8] Kurd Alsleben, Aesthetische Redundanz. Abhandlungen über die artistischen Mittel der bildenden Kunst, Verlag Eberhard Schnelle, Quickborn, 1962; Kurd Alsleben, Diskettentypografie. Hypertext. Griffelkunst, Hamburg, 1988. Catrin de Courten, Erste Erfahrungen mit der Kiste, HFBK Hamburg, 1993; Klaus Dufke, Ulysses. Hypertext, HFBK Hamburg 1991; Antje Eske (Hg.): KükoCokü, HFBK Hamburg, 1989ff; Antje Eske und Nicola Nissen, Soliparts mit chorischen Anteilen, Universität Lüneburg, 1993; Detlev Fischer, Schwamm. Hypertext, HFBK Hamburg 1989; Detlev Fischer, HyperCard Correspondence. DTP, Coventry University, 1961?, Werner Justen, Formulieren in Hypertext, HFBK Hamburg, 1992; Dieter Kaitinnis, Vervielfältigung. Hypertext, HFBK Hamburg, 1992; Thomas Ammann und Matthias Lehnhardt, Die Hacker sind unter uns, Heyne, München 1985; Matthias Lehnhardt u. a., Aha! Im Netz Aha! Mediale 93, HFBK Hamburg, 1993; Matthias Lehnhardt, Rückkoppelung durch Produktion, FernUniversität Hagen, 1975; Matthias Lehnhardt, Künstlerische Telematik. Software, HFBK Hamburg, 1992, Volker Lettkemann, Tastendes Formulieren beim Korrespondieren mediens Hypertext, HFBK Hamburg, 1992. [Erstveröffentlichung in: 1. Kieler Netztage '93, Verlag Claus Schönleber, Kiel 1993, S. 197-198; außerdem in: Die Datenschleuder. Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende. Heft 46, 1994. Chaos Computer Club e.V., Hamburg.] |