zkm2010
 



Konversationskunst
Kurd Alsleben, Antje Eske
und Freunde

16. Oktober 2010 – 9. Januar 2011
ZKM | Medienmuseum
Projektraum

Künstler begehren Botschaft
Die 1960/1970er Jahre

Antje Eske und Kurd Alsleben
[2010]

Kurd Alsleben und Cord Passow / Computerzeichnungen
„Können Computer Kunst machen?“ war einerseits eine bewegende Frage in den 1960er-Jahren. Allerdings ging es denen, die sie stellten, weniger um die Kunst, als darum, die Bandbreite einer Rekonstruierbarkeit des Menschen zu diskutieren. Über die Kunst hatten sie technisch-naturwissenschaftliche Gedanken (und stellten sich eine von Computern konstruierte „Kunstversorgung“der Bevölkerung vor). Andererseits wurden damals in fast allen Gesprächen Bekenntnisse darüber abgegeben, worin der Mensch dem Computer überlegen sei. 

Eine naivere, weniger manieristische Beobachtung trat 1960 im Hamburger DESY bei den Freunden Kurd Alsleben (Künstler) und Cord Passow (Physiker) vor einem Analogrechner EAI 231R auf.[1] Es war das Zeichnen des Plotters mir (K. A.) nicht als mein Zeichnen erlebbar (im Vergleich etwa zu der Situation vor einer Kupferstichpresse), sondern es war, als würde die Denkmaschine zeichnen und sich mir gegenüber ausdrücken. Weil es ein Analogrechner war, machten wir unsere Eingaben nicht über den Zwischenschritt einer Programmierung, wie es damals bei digitalen Computern nötig war, sondern direkt durch Drehen an Potentiometern: Neue Eingabe und neue Zeichenausgabe schienen mir Turns eines konversationellen Austauschs zu sein. Das Modell „Künstler/Werk/Publikum“ war grundlegend gestört. Der Künstler als gültiger Sender erlebte sich Nachricht begehrend als Empfänger. Im Folgenden überlegte ich, wie ich den Computer – vielleicht mathematisch via phänomenaler Metriken – meinen visuellen Code lehren könnte und ich beobachtete, welches sein visueller Code sein könnte. Ist die Exaktheit der Striche sein Ausdruck, was bedeuten ihre Störungen? Die Phantasie, der Computer möchte ein künstlicher Mensch sein, hatte ich dabei nie. Er war ein geheimnisvolles Wesen, wahrscheinlich nach der Art, wie ihn die Journalisten damals beschrieben. Er machte mir letztlich Bestaunen der Anderweiten[2] der anderen Menschen bewusst. Eine neue Künstlerrolle war hinzugetreten. Der „neue“ Künstler mag geschickter mit konversationellem Austausch umgehen können als manch anderer Konversant und sich vielleicht auch die Aufgabe stellen, den Austausch besonders zu pflegen, doch ist seine Rolle nicht die eines Moderators. Das brächte ihn als Konversierenden in die unmögliche externe Position.

Tendencije 4. Kompjuteri i vizuelna istraživanja [Tendenzen 4. Computer und visuelle Forschung] in Zagreb und Cybernetic Serendipity in London, die zwei legendären Ausstellungen von 1968, an denen wir mit den Computerzeichnungen teilnahmen und die in Zagreb Boris Kelemen und in London Jasia Reichardt aufbauten, machten die bildende Computerkunst international bekannt.[3] Insbesondere Werke elektronischer Musik gab es zu jener Zeit seit circa 10 Jahren. Der Anfang von Gordon Pasks szenischem Moonlight lag 16 Jahre zurück.[4] Vielleicht hat Gordon Pask damals den anthropomorphen Metapherngebrauch forciert, vielleicht hat er auch verantwortlichen Umgang mit Metaphern angemahnt,[5] jedenfalls ist seit dem historischen Auftritt des Social Web die zwanghafte Allgemeingültigkeit der Mensch/Maschine-Semantik durch Mensch/Mensch-Semantik aufgelöst.


Helmar Frank: Systemkomplextheorie der Kybernetik
„Durch die Blickrichtung auf informationelle statt auf materiell-energetische Gegenstände sondert sich die Kybernetik nur gegenüber der Naturwissenschaft ab. Ihre Eigenständigkeit auch gegenüber der ebenfalls auf Informationelles gerichteten Humanistik begründet die Kybernetik durch Entwicklung eigener Methoden. Da diese den Bereich der – in der Humanistik gepflegten – phänomenologischen Betrachtungsweise verlassen und den Vorrat formaler Werkzeuge erweitern, der die nach-galileische, d. h. die messende und rechnende Naturwissenschaft kennzeichnet, erschien die Kybernetik als ‚Brücke zwischen den Wissenschaften‘[6] [...]. Welche formalen, (also logischen und mathematischen) Werkzeuge für die Kybernetik entwickelt oder von der Kybernetik besonders häufig verwendet werden, ist auf den schon angedeuteten vier Stufen ihres systematischen Aufbaus [Abb. 1] jeweils im Bereich der allgemeinen Kybernetik am deutlichsten erkennbar.“[7]

vierStufen.derKybernetik
Abb. 1 Helmar Frank; Unterteilung der Kybernetik in vier
aufeinander aufbauende Stufen
, 1962.[8]

Die dort durch spezifische Anwendung formaler Werkzeuge auf Informationelles allgemein entwickelten Kalküle sind auf die konkreten informationellen Gegenstände der Bio-, Ingenieur- und Humankybernetik anwendbar, nämlich auf:
I. die Informations- und Codierungstheorie von Claude Elwood Shannon (1948),
II. die Theorie der Algorithmen und abstrakten Informationsverarbeitungssysteme,
III. die mathematische Theorie informationeller Kreisrelationen (Regelungstheorie) und
IV. die mathematische Theorie strategischer Spiele. (Wo nichts von diesen Kalkülen angewandt wird, sollte nicht von Kybernetik gesprochen werden.)

Auf der Stufe I (Nachrichtentheorie) wird die in der Nachricht (z. B. einem Kunstwerk) für einen bestimmten Empfänger S in einer bestimmten Situation enthaltene Information gemessen und mit möglichst wenig Redundanz, d. h. so knapp wie ohne Informationsverlust möglich (oder mit der zur gewünschten Störungssicherheit nötigen Redundanz) codiert und somit an andere Orte übertragbar oder für spätere Zeiten speicherbar gemacht.

Auf der Stufe II (Nachrichtenverarbeitungstheorie) reagiert der Empfänger auf ihm eingegebene Nachrichten (z. B. im Akt der ästhetischen Wahrnehmung). Im Bereich der (hier in die Kybernetik einzuordnenden) Informatik wendet er auf digital codierte Nachrichten – als Rechner – dazu Algorithmen an, welche für ihn in einer Programmsprache formuliert wurden.

Auf der Stufe III (Kreisrelationstheorie) wirkt der Empfänger als Regler mit seiner Informationsausgabe auf ein (über Stellglieder) beeinflussbares Regelobjekt so ein, dass die (über Messfühler) rückgemeldete Nachricht über den dadurch veränderten Ist-Zustand des Regelobjektes (trotz etwaiger Störeinflüsse auf das Regelobjekt und auch bei nicht genauer Kenntnis von dessen Verhaltensweisen) einem Ziel (nämlich der erwarteten Information über den erreichten Soll-Zustand) zustrebt; dieses Ziel ist in Human- und Ingenieurkybernetik normativ gesetzt, in der Biokybernetik ein fiktives „Als-ob“. Für die Informationsästhetik ist der Prozess des Schaffens des Kunstwerkes durch Gestaltung des Zeichenträgers (Signals), ein Gegenstand dieser Stufe.
Auf der Stufe IV (Systemkomplextheorie) ist das Regelobjekt kein passiver Umweltausschnitt, sondern seinerseits ein Regler (und damit ein Empfänger und Sender von Nachrichten) – oder ein ganzer Komplex von Reglern – mit unterschiedlichen meist gegensätzlichen Zielsetzungen. Dieser Fall liegt u. a. bei allen Personenmehrheiten vor – vom Paar bis zum Staat. Hierher gehören auch die informationellen Beziehungen zwischen Künstler einerseits, Kunstkritiker oder Kunstkonsument andererseits.

Da Helmar Frank zu den Mitbegründern der Informationsästhetik zählt, nimmt es nicht Wunder, dass obiges Vier-Stufen-Modell der Kybernetik zunehmender Komplexität zugleich auch eine Abbildung der Informationsästhetik darstellt. Die Konzepte von Abraham A. Moles und Max Bense stehen auf den ersten zwei Stufen, die dritte Stufe ist von der „kontinentalen Informationsästhetik“ nicht mehr wahrgenommen worden. 1962 ging Helmar Franks Systemkomplextheorie den Schritt über die Kunst an Publikum gerichtet hinaus – eine Kunst, die nicht überreden will, sondern Raum für spielerisches Beratschlagen eröffnet.
Kunst ohne Publikum war vor dem Begriff der Autonomen Kunst nicht ungewöhnlich und wird es im World Wide Web auch nicht sein.[9]


2. Soziale Bewegungen

Antje Eske wird in Hamburg Teil der sozialen Bewegungen

Die 60er-und 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts waren eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, was in der 68er-Studentenbewegung offensichtlich wurde. Die anfänglich eher privaten, sozialen Veränderungen wurden mehr und mehr politisch.

Mit Teamwork und Gruppenarbeit, 1966 während des Studiums an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg (HFBK), begann für mich (A. E.) der konversationelle Austausch mit Anderen. Im Rahmen meines Studiums initiierte ich und beteiligte mich an diversen Projektgruppen. Im Zusammenhang der 68er-Studentenbewegung, die eine Zeit utopischer Euphorie war, wurden das Bewusstsein und die Bereitschaft für gesellschaftliche Veränderungen deutlicher und dringender. Eine entscheidende Rolle spielte die Neu­begründung von Autorität. Wir Studierenden hatten im Rahmen der HFBK durchgesetzt, alle Entscheidungsgremien drittelparitätisch zu besetzen. So gelang es auch, dass sämtliche BewerberInnen für den Studiengang Visuelle Kommunikation ohne Aufnahmeverfahren aufgenommen wurden. Um mit dem Menschenandrang fertig zu werden, hatten wir älteren Semester ein Tutorennetz begründet, das die StudienanfängerInnen betreute.
Natürlich ging ich auch auf die Straße oder fuhr nach Brockdorf, aber in den Bereichen, in denen mich die Probleme persönlich berührten, war ich stärker engagiert.

Das Zusammenarbeiten mit Anderen und das Zusammenleben in Wohngemeinschaften hatte Auswirkungen auf die Lebensplanung. Die überkommene Vorstellung der Trennung von Leben und Arbeiten, familiären und inhaltlichen Zusammenhängen gehörte der Vergangenheit an. Unsere Idealvorstellung war die Einheit von Zusammenleben und Zusammenarbeiten.
Bald schon ging die Gruppen- und Initiativenarbeit über den Rahmen der Kunsthochschule hinaus und die angestrebte Idealvorstellung von Zusammenleben und -arbeiten verwirklichte ich in drei Hausgemeinschaften:
1. den Produktionshof im Hohenesch, wo wir, Heiner auf dem Garten, Rainer Behnisch und ich, in den 1970ern gemeinsam in Hamburg Altona wohnten und arbeiteten. Wir entwarfen das Spiel Schichtwechsel für die Ausstellung Spielen, die 1971 im Kunsthaus Hamburg stattfand, und arbeiteten über Jahre freiberuflich für das Schulfernsehen. Dort entwickelten wir z. B. für den Bereich Arbeitslehre das visuelle Konzept mit und machten die grafische Gestaltung, Trickfilmvorlagen und dreidimensionale Schiebegrafiken. Das langjährige Logo des Schulfernsehens habe ich entworfen. Wir beteiligten uns an Kunstwettbewerben, z. B. wurde unser Entwurf des künstlerischen Informationssystems für das Einkaufzentrum Hamburger Straße realisiert.
Zusammen mit zwei weiteren MitbewohnerInnen vom Hohenesch, Hannelore Pitscheck und Jörn Klammroth, fuhren Rainer und ich quer durch die Wüste Sahara die „Mauretanische Piste“ entlang bis in den Senegal nach Dakar.
2. die Mühlengruppe Vierden mit ca. 10 Beteiligten, darunter auch MitbewohnerInnen aus dem Hohenesch. Wir bauten zusammen eine Mühle in Vierden bei Bremen aus. Es entwickelte sich auf diese Weise ein verbindliches soziales Netz, in dem wir gemeinsame Interessen ausloten konnten.
3. eine WG am Winklersplatz 8, in die ich nach der Trennung von meinem damaligen Lebensgefährten Rainer Behnisch gezogen war. Aus dieser WG entwickelte sich bald nach meinem Einzug – eine aktive Rolle spielte dabei Jürgen Gehrs – die Stadtteil- und Mieterinitiative Altona/St.Pauli. Es gab anfangs ein großes Interesse unter den Anwohnern, denn der Stadtteil sollte für eine finanziell gehobenere Schicht aufbereitet werden.
Im Zuge der Mieterinitiative Altona/St.Pauli wuchsen die MieterInnen vom Winklersplatz 8 zur Hausgemeinschaft zusammen. Wir richteten z. B. auf dem Boden eine Dunkelkammer und einen Tischtennisraum ein und kamen häufig zusammen, auch um gemeinsam zu singen. Zwei MitbewohnerInnen und ich spielten Gitarre.
Ein aktiver Kern der Initiative, zu dem ich auch gehörte, gab die Mieterzeitung Mietze heraus. Nach ungefähr 2 Jahren intensiver Zusammenarbeit in der Stadtteilinitiative wurden die Unterschiede in der Herangehensweise unüberbrückbar und die Aktivitäten wurden nach und nach eingestellt. Im Mai 1978 zog ich mit einer Freundin in die Paulinenallee in Altona Nord.

Weitere Projekte, an denen ich in den 70ern beteiligt war, waren u. a.:
4. die Finkenau-Initiative. Die Frauenklinik Finkenau, in unmittelbarer Nähe der HFBK gelegen, sollte bis auf 120 Betten aufgelöst werden. Dagegen hatte sich eine Initiative gebildet. Ich lehrte inzwischen an der HFBK als Assistentin u. a. Medienarbeit und wir, Prof. Hans Michel, Sünke Michel, ich und Studierende, begleiteten die Initiative ab Juli 1977 über ein Jahr, verteilten Flugblätter auf dem Wochenmarkt, dokumentierten die Gespräche bei der zuständigen Senatorin Elstner und bereiteten eine Informationsveranstaltung mit Plakaten, Flugblättern und Wandzeitungen im Gemeindezentrum Ifflandstraße vor, bei der die Senatorin befragt werden sollte. Unser Ansatz war: den Betroffenen die Medien in die Hand zu geben.

5. die Frauenbewegung und eine Frauendruckerei. Am Anfang stand Ratlosigkeit gegenüber den linearen, patriarchalen Denkstrukturen. 1975 habe ich begonnen, die gesellschaftlich vorgegebenen Polaritäten, z. B. Künstler/Publikum, männlich/weiblich, durch Konversation und Kommunikation im Medienwechsel gemeinsam mit anderen zu hinterfragen und unterschiedliche, frauenspezifische Projekte zu initiieren und weiterzutreiben. Gerd Roscher, damaliger Sprecher des Fachbereiches VK, schrieb über meine Arbeit: „Erste Versuche konnten in einem achtjährigen Seminar über Karikatur gemacht werden. Dann ist in einem Projekt eine Sammlung von visuellem Material über Frauenarbeit angelegt worden. Frauenspezifische Projektarbeit mit Medien machte es auch notwendig, jenseits der Werkstätten des Fachbereichs eigene Produktionsstellen aufzubauen. Die Errichtung der Frauenwerkstatt und dann der Frauendruckerei sind Avantgarde-Projekte, die weithin Beachtung gefunden haben. An ihrem Aufbau und ihrer Arbeit hat Antje Eske wesentlichen Anteil.“[10]


[1] Kurd Alsleben, Aesthetische Redundanz. Abhandlungen über die artistischen Mittel der bildenden Kunst, Schnelle Verlag, Quickborn, 1962.
Margit Rosen recherchierte das Modell des verwendeten Computers. Vgl. Margit Rosen, Peter Weibel, „Der Anfang am Ende des mechanischen Zeitalters. Zur Technik- und Kunstgeschichte der computergenerierten Grafik“, in: Wulf Herzogenrath, Barbara Nierhoff (Hg.), Ex Machina – Frühe Computergrafik bis 1979, Deutscher Kunstverlag, München und Berlin : Deutscher Kunstverlag, München, Berlin 2007, S. 182–210.
[2] Anderweite ist ein Begriff, den Kurd Alsleben zwischen1970 und 1980 eingeführt hat. Er hebt nicht das Anderssein der Anderen hervor, sondern die bestaunenswerte Anderweite, die Weite der Möglichkeiten des Anderen.
[3] Margit Rosen (Hg.), A Little-Known Story about a Movement, a Magazine and the Computer’s Arrival in Art, The MIT Press, Cambridge, 2011.
[4] Margit Rosen, „‚The Control of Control‘ – Gordon Pasks kybernetische Ästhetik“, in: Ranulph Glanville und Albert Müller (Hg.), Pask Present, edition echoraum, Wien, 2008, S. 73–110.
[5] Den Hinweis auf Pasks Bemerkung darauf gab den Autoren Axel Sylvester.
[6] Helmar Frank, Brücke zwischen den Wissenschaften, Umschau-Verlag, Frankfurt, 1961.
[7] Helmar Frank, Informationsästhetik, kybernetische Ästhetik, Aesthetokybernetik, Ifk-Verlag, Paderborn, 1995.
[8] Helmar, Frank, Kybernetik, Brücke zwischen den Wissenschaften, 3. Auflage, Umschau Verlag, Frankfurt a. M., 1962, S. 21.
[9] Antje Eske, Die Verbindung von Social Web und Salonkultur 13 Salonièren, edition kuecocokue und BoD, Hamburg und Norderstedt, 2010.
[10] Gerd Roscher, unveröffentlichter Text.