zkm2010
 



Konversationskunst
Kurd Alsleben, Antje Eske
und Freunde

16. Oktober 2010 – 9. Januar 2011
ZKM | Medienmuseum
Projektraum

Hypertext. Kunst ohne Publikum
Die 1970 bis 1990er Jahre


Antje Eske und Kurd Alsleben
[2010]

Hypertext

Hypertextliche Versuche
Ende der 1960er Jahre wurde uns (Kurd Alsleben/Antje Eske) immer deutlicher, dass Denken und Fühlen keinen linearen Verlauf nimmt, sondern einen verzweigten. Wir hatten uns zunächst von dem Modell der Kommunikationskette, der Idee des Informationstransports befreit und dann mit Computersurrogaten den Hypertext erkundet.

1. Kurd Alslebens thematisches Aufbereiten mittels DIN A9-Zetteln war ein angemessener Umgang mit der Informationsbreite und -dichte gewesen. Er brachte diese Methode in die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) ein, um mit dem Hypertext, der damals allen noch unbewusst war, umzugehen und zu arbeiten. Dazu hatte er sich kleine DIN A9-Blöckchen (3,7 x 5,25 cm) vom Buchbinder schneiden und in Lumbeck-Technik binden lassen. Die DIN A9-Zettel wurden sorgfältig zwei- bis dreidimensional geordnet und in DIN A4-Sammelblättern für Briefmarken gespeichert. Jede thematische Annäherung ließ sich so leicht einkreisen (quasi aus dem unüberschaubaren Hyperspace des Lebens isolieren), strukturieren und gemeinsam handhabbar machen.

2. Die Materialform oder Vorgabeform war ein wichtiges und auch heute noch aktuelles damaliges Ergebnis. Bei Vorbereitungen für ein Fernsehinterview entstand sie gemeinschaftlich zwischen Alsleben und Eske. Sie hat drei auch konversationell interessante Charakteristika und war die Grundvoraussetzung für alle weiteren hypertextlichen Versuche:
I. Die Formulierungen sollen hantierbar sein, das heißt, kleine Einheiten sein, die mental und materiell fassbar und kombinierfähig sind.
II. Die Formulierungen sollen anknüpfbar sein, für Anknüpfungen offen und empfindlich. Das steht im Gegensatz zur Falsifizierung, bei der sich jeder um abgeschlossene Argumentation bemühen muss.
III. Die Formulierungen sollen anschaulich sein, das heißt, beim anderen Erinnerungen, vergleichbare Erlebnisse und Erfahrungen ansprechen.
Folgerichtig fingen wir ab da an, für uns wichtigen Büchern die Rücken abzuschneiden, die Seiten zu lochen und sie in Ordner zu heften, damit wir an bestimmten Stellen anlinken und verzweigt weiterarbeiten konnten.
Das Arbeiten mit Ordnern bewährte sich. Auch neue Inhalte formulierten und veröffentlichten wir in Ordnern.

3. Ein Beispiel für das Formulieren von neuen Ideen in Ordnern ist: Antje Eske, Heilige und Hure. Die Rolle der Frau in der Geschichte der Karikatur[1], ein in Auflage in der Druckerei der Hochschule für bildende Künste Hamburg von Antje Eske, zusammen mit Harald Ehlers, dem Drucker der HFBK, gedrucktes Beispiel einer künstlerischen Materialvorgabe zur mutuellen Konversation. Antje Eske legte „dies jedoch nicht als lineare Argumentation an, sondern als ein offenes Feld von Bildern, Texten, Kapitelüberschriften oder auch nur einzelnen Begriffen. Jede NutzerIn des Ordners sollte aus dem in vier verschiedenen Blattbreiten auf unterschiedliche Papiere gedruckten Material ihre eigenen Zuordnungen und so auch den eigenen assoziativ-argumentativen Ablauf montieren. Um Blätter umdrehen oder von einer Seite auf die andere heften zu können, wurden sie beidseitig gelocht.“[2] Durch die unterschiedlichen Blattgrößen wird beim Durchblättern ein Auf- und Zudecken von und mit Bildern, eine linkähnliche Verbindung unterschiedlicher Inhalte erzeugt. Um Bilder hinzufügen zu können, gab es ja Kopierer. Da aber noch nicht wie heute überall Kopiergeräte standen, kaufte Kurd Alsleben einen gebrauchten DIN A3-Kopierer und musste für jede Kopie an den Hersteller Lizenz bezahlen-

4. Mit Randlochkarten, zu denen Kurd Alsleben durch zahllose Gespräche mit dem Datenpionier Kurt Passow, dem Vater seines Freundes Cord Passow, angeregt worden war, erkundeten wir an der Hamburger Kunsthochschule das Linken. Mit zwei Lochreihen versehene Karten werden per Hand und Stricknadeln gleichenden Nadeln sortiert und verlinkt. Die mit Bedeutung belegten Löcher können mit einer speziellen Zange zum Rand hin offen eingekerbt werden. So gekerbte Karten fallen beim „Nadeln“ dieser Bedeutungen und unter leichtem Schütteln aus dem Kartenstapel als „untereinander verlinkt“ heraus. Es können gleichzeitig mehrere Löcher „genadelt“ werden, sodass sich logische Konjunktionen u. a. bilden können.

5. Auch unterschiedliche Lehrmaschinen, mit denen wir arbeiteten, erlaubten einen konversationellen Umgang und linkisches Formulieren.
a) z. B. dasLerngerätSound and Slide, bei dem Dia-Rähmchen in einem etwas größeren zweiten Rähmchen eingesetzt waren, von einer kleinen Ton-Diskette angenehmer Dauer umgeben. Diese ließ sich, angesichts des auf einem mittelgroßen Schirm rückprojizierten Diabildes, locker – auch gesprächsweise, wie Matthias Lehnhardt und Kurd Alsleben es taten – besprechen. Die nicht zu schmalen Aufsichten der Rähmchen wurden damals von uns mit aufgeklebten Streifen beschriftet, sodass wir bei gezieltem Verschieben der Ton/Dia-Kassette die Ton/Dias verlinkten. In echt konversationellem Umgang legten wir Dias auf einen Mini-Lichttisch zum Auswählen bereit oder machten kleine Zeichnungen auf Transparentpapier und gaben sie in Dia-Rahmen. Das Gerät erlaubte Bildschirm- und Wandprojektion.
b) Linken ließ sich mit den zwei vom NDR gekauften Lehrmaschinen mit Steuereinheit für Diaprojektor und Tonbandgerät (alles in einem schweren Gehäuse) automatischer verwirklichen. Ihnen fehlte aber die nötige Geschwindigkeit und Zugänglichkeit beim Darstellen im obigen Sinne. Sie waren nicht mutuell und so dauerte es nur kurze Zeit, bis begehrt wurde, die Einzelgeräte vom Steuerteil zu trennen und konventionell zu benutzen.
c) Unsere letzte Lehrmaschine BASF 2000 war ein Automat. Zwar sprangen Bild und Ton (obschon per mechanischer Technik) auf Tastendruck, gut vergleichbar heutiger Klickgewohnheiten, doch mussten vorher aufwändig über einem extra Trickfilmtisch und mit DIN A4-großen Karten Schleifen, Wiederholungen und Sprünge programmiert werden. Diese, nach dem seinerzeitigen Crowder-Algorithmusverzweigten Lehrmaschinen mit Sichtfeld, Tasten und Lautsprecher, waren sozusagen die letzte (elektro-mechanische) mediale Vorstufe vor den Tischcomputern mit Monitor und Schreibtastatur plus hyperlinkender Autorensoftware (z. B. HyperCard, 1987) des nächsten Jahrzehnts.


Medienwechsel

Seit den 1970er Jahren arbeiteten wir (Kurd Alsleben/Antje Eske) an der HFBK Hamburg mit dem Medienwechsel zwischen Wort und Bild. Dabei ändert sich jeweils der Assoziationshof, sodass an andere, bei bildlichen Formulierungen auch an tiefer liegende, unbewusste Assoziationsbereiche angeknüpft wird. Durch die sich daraus ergebenden außerordentlichen Verbindungen (Steigrohre des Unbewussten/Surrealismus) wird poetisches Potential freigesetzt.

1. In diversen Seminaren an der HFBK, suchten wir (Kurd Alsleben/Antje Eske) mit Studierenden nach unterschiedlichsten zeichnerischen Ausdrucksformen und übten sie ein. Wir merkten, dass Reden und Zeichnen der Übung bedurften. Zu den diversen zeichnerischen Übungen gehörten z. B. Zeichnen nach Video; Aktzeichnen; Kopieren im Kupferstichkabinett als Nachempfinden dessen, was der/die ZeichnerIn empfunden hat; Überkopfzeichnen als konversationelle Geste zum Anderen hin; Zeichnen bei Hagenbeck, einem Zeichen aus propriozeptiver Imitation der Tiere oder automatisches Zeichnen mit Gerhard Rühm. Mit ihm zeichneten wir in offiziösen Gruppen mit der „Planchette“, einem dreieckigen Holzbrettchen mit Rädern über einem Bogen Papier. In der Mitte des Brettchens war in einem Loch ein weicher Bleistift eingeklemmt. JedeR aus der Gruppe legte einen oder zwei Finger auf das Brettchen, entspannt und ohne Ungeduld. Nach einiger Zeit begann das kleine “Wägelchen“ zu fahren und der Bleistift hinterließ seine Spuren auf dem Papier. Auch zum Blindzeichnen ließen wir uns von Dietrich Helms anregen. Mit der Literaturwissenschaftlerin der Universität Hamburg, Bettina Clausen, analysierten wir zeichnend romantische Texte von Ludwig Tieck und E.T.A. Hoffmann. Von ihr stammt der Satz: „Zeichne Schreiber, Zeichner schreibe!“ Ab 1984 zeichneten wir auch im Computer, denn unseren privaten Apple, einen Mac 512, brachten wir sofort in die Kunsthochschule, als einen ersten Schritt in Richtung Computerei.

2. 1985 veranstaltete A. Eske zusammen mit der Literaturpost e. V. an der HFBK die Tagung Zeichnen.Schreiben. Auch Helmar Frank, Klaus Brunnstein und Frieder Nake waren gekommen. Wir gaben dazu einen 200-seitigen DIN A5-quer Materialordner heraus.[3] Im Gegensatz zu der bis dahin geläufigen autorenhaften Form des Schreibens oder Zeichnens, bei der ein Autor eine bestimmte Aussage macht, mit der sich das Publikum auseinandersetzt oder auch nicht, zeichneten sich Ansätze austauschenden Formulierens ab, bei denen mehrere Menschen die Möglichkeit haben, miteinander auf die Suche nach Antwort zu gehen.

3. Nach der Arbeit mit der Finkenau-Initiative verarbeiteten wir (A. E., Hans Michel, Sünke Michel) unsere Erfahrungen in einem gemeinsamen Seminar: Visuelle Notizen. Wir waren auf der Suche nach operativen Ausdrucksformen, die im Gegensatz zu den nur anstoßenden didaktischen Ausdrucksformen einen Prozess einleiten und reifen lassen, der es ermöglicht, mit einem Gegenstand oder Menschen eine Auseinandersetzung zu führen, in Kommunikation zu treten, im weitesten Sinne zu handeln.

4. Diese Möglichkeit der zeichnerischen Auseinandersetzung, jetzt aber direkt auf den anderen Menschen bezogen, führte ich in meinem daran anschließenden Seminar Visuelles Tagebuch weiter. Regelmäßig, einmal die Woche, setzten wir uns über mehrere Semester zusammen und zeichneten aus der Erinnerung. Das Besondere an dieser Art zu zeichnen war, gemeinsam um einen großen Tisch zu sitzen. Die Angst vor dem Zeichnen kommt so gar nicht erst auf. Die Konzentration überträgt sich auf alle. Untrennbar mit dem Zeichnen war das gemeinsame darüber Reden verbunden.
Das Hoffnungsvollste am Zeichnen ist: In jeder formulierten Vorstellung schwingt die belebende, uns ständig bewegende Frage mit: Wie wäre es denn schön?
Die Erfahrungen und Erlebnisse wurden 1984 im Material-Verlag der HFBK veröffentlicht: Erfahrungen und Erlebnisse aus unserem Frauenalltag.[4]
5. Als nächstes bot ich ein Karikaturseminar an der HFBK an, das über acht Jahre lief. In einer Zeit der Sympathisantenhetze, der Berufsverbote, der Schadenersatzforderungen an Atomkraftgegner, der Vorgänge in Stammheim fehlte uns, mir der Lehrenden und den Studierenden der HFBK, eine angemessene Auseinandersetzung mit anderen. Wir waren auf der Suche nach einer Ebene über Smalltalk und Common Sense hinaus. Gespräche mittels Karikaturen schienen eine gute Möglichkeit, aus der diskursiven Gewohnheit auszubrechen, um zu neuen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten kommen zu können.
Mit einer großen Wandzeitung in der HFBK, auf der wir uns ironisch in Wort und Bild zu Einschränkungen und Demonstrationsverboten äußerten, haben wir diesen Prozess eingeleitet. An Demonstrationen gegen das Hochschulrahmengesetz (HRG) oder das Landeshochschulgesetz (LHG) nahmen wir mit Karikatur-Transparenten teil. Zur selben Thematik entwickelten wir ein Theaterstück, das wir (angemeldet) auf der Mönckebergstraße vor der Hauptkirche St. Petri aufführten, um im Anschluss mit den PassantInnen darüber zu reden. Wir kommunizierten untereinander im Seminar mittels Karikaturen, bedruckten Postkarten mit den treffendsten und verschickten sie, z.B. in einer Osterkartenaktion.
Im Anschluss an das Karikaturseminar folgte ein Projekt, in dem wir eine Sammlung von visuellem Material über Frauenarbeit zusammenstellten, als Mittel, uns historische Zusammenhänge und Beziehungen zwischen Menschen zu erschließen, das in ein Maria-Sibylla-Merian-Seminar einfloss und letztlich im Seminar Spinnen am Computer mündete.


Hamburger Datenkunstbewegung

1983. Erster Mac 512. Interdisziplinäre Computerei

Auf der Novembertagung von Helmar Frank in Paderborn im Jahr 1983 lernten wir einen jungen Mann kennen, der – gerade aus den USA zurück – einen Apple Macintosh mitgebracht hatte und ihn uns zeigte. Als 1984 die ersten Macs in Hamburg in den Handel kamen, erwarben wir sofort einen. Er hatte 512 kb Arbeitsspeicher. Zusammen mit einer kleinen Kamera, einem zweiten Laufwerk und einem Imagewriter kostete damals alles sagenhafte 22.000 DM.
Wir brachten den Computer in die Kunsthochschule, um dort das Feld für diese neuen Möglichkeiten zu öffnen.
So erfolgreich die Computerei inhaltlich von Anfang an war, so sehr musste sie um ihre Etablierung innerhalb der HFBK ringen. Sie entstand und entwickelte sich seit 1985, drei Jahre lang gegen administrativen und kollegialen Widerstand der Hochschule. Im Juni 1985 sandte eine Initiativgruppe von Professoren – Kurd Alsleben, Dietrich Helms, Franz Erhard Walther– einen Antrag über mehrere Personalcomputer an Klaus Brunnstein, Vorsitzenden des Hamburger ADV-Beirats. Der HFBK-Hochschulrat wollte dem Vernehmen nach keinen Antrag stellen. Ein Jahr später beantragte er aber vier CAD-Arbeitsplätze. Den CAD-Antrag kritisierte Alsleben in einem Schreiben an den ADV-Beirat mit Erfolg. Gleich am Anfang standen in der HFBK also Auffassungen einander gegenüber: der Computer als künstlerisches, telematisches Medium oder als Werkzeug.
Die HFBK stellte dann den 1987 bewilligten Antrag auf acht Macintoshs mit Server (LAN), Laserdrucker, Plotter und Zubehör.
Im April 1988 werden die Computer geliefert und in den Fachbereichen und im Raum 126 aufgestellt. AlslebensKonzept der Dezentralisierung – künstlerische Projektidee versus Werkstatt – ist aufgegangen. In allen Bereichen wird heute mit Computern gearbeitet. An seinem sechzigsten Geburtstag wurde diese erste Computerei einer Hochschule für bildende Künste mit Tonbandgrüßen von Konrad Zuse eröffnet, die er uns (KURD ALSLEBEN/ANTJE ESKE) auf Band gesprochen hatte, als wir ihn, mit unserem Sohn Jonas, in Hünfeld besuchten.


Hamburger Datenkunstbewegung der 80er-Jahre

In Hamburg gab es in den 1980er Jahren eine außerordentliche Anzahl aktiver Gruppen der Datenkunst. Ein Versuch am Ende des Jahrzehnts, sich im Zusammenhang der fünf internationalen Hamburger Symposien Interface, die Klaus Peter Denker initiierte, zu organisieren, gelang nicht. Alphabetisch aufgeführt waren es die folgenden Gruppen:

  • Der Chaos Computer Club (CCC) – Wau Holland et al. – wurde durch Datenreisen, spektakuläre Hacks, das moralische Konzept der „Hackerethik“sowie Proklamierung der Informationsfreiheit berühmt. Viermal im Jahr erscheint seit 1981 Die Datenschleuder. das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende. Wau Holland schrieb in der Datenschleuder Ausgabe 56: „Eine der übelsten Dinge ist es, einen Menschen von der Kommunikation auszuschließen.“[5]
  • „Netzanschluss für alle“propagierte und betrieb damals das Freie Telekommunikations - Zentrum(ftz), vergleichbar den Initiativen in den Niederlanden.
  • Im LAN der Interdisziplinären Computerei der Hochschule für bildende KünsteHamburg– Kurd Alsleben et al. – wurden, auch per Diskettenwerfen, Hypertext/media-Korrespondenzen betrieben. Eine Kultur des Formulierens in Links war entwickelt.
  • Während der Ausstellung der Hamburger Kunsthalle Kunst im Netzwerk – Achim Lipp et al. –, waren die Besucher untereinander und über die Ausstellungszeit hin per Computernetz verbunden. (Daraus entwickelte sich später das EU-Projekt European Museums Network).
  • Gesprächsrunden von Künstlern und Informatikern waren die Künstlerkonferenzen zur Förderung und Einschätzung dialogischer Computerkünste(KükoCoKü) – Antje Eske et al. – Die Ergebnisse wurden auf Papier in aufwändiger künstlerischer Form veröffentlicht. (Heute edition kuecocokue, Hamburg)
  • Wechselseitige Kommunikationsräume im Fernsehen zu eröffnen versuchte Ponton Van Gogh TV– Karel Dudesek, Mike Henzet al. (Berühmt durch die über Satellit auch in Japan gesendete Piazza Virtuale.)
  • In dem Sinne, Datenkunst adäquat online zu lehren, entstand aus der Idee der Virtuelle Europäischen Kunsthochschule – Matthias Lehnhardt – später das Labor für elektronische Medienkommunikation und Medienkunst (LEM) der Hochschule für bildende Künste und der Universität Hamburg (darin das Baltic Interface Network(BIN).)

Es gab darüber hinaus Einzelne wie Karen Scholz, die z. B. mit dem neuen Fax-Dienst Mailart machte.


IRC-Chat Zürcher Gespräche
Zusammen mit Matthias Lehnhardt et al. hatten wir in den Anfängen des Internets einige IRC-Chats. Wir verabredeten vorher gerne virtuelle Anregungen, z. B. wo wir uns treffen, oder was die Beteiligten mitbringen wollten.
Matthias Lehnhardt dazu: „wir haben mal einen chat im Rahmen der Zürcher Gespräche (Hugo Schmale 1994) gehabt, wo beides funktioniert hat [Inhalts- und Beziehungsaspekt] [...] wir hatten ein gemeinsames Bild verabredet, dieses ‚Picknickbild‘ [...] eine Situationsvorgabe, wo wir gesagt haben, wir treffen uns eben auf einer Lichtung im Wald. Und Antje hatte, glaube ich Russisch Brot mitgebracht und Kurd was zu essen. Ich weiß noch, dass Arne seine Bibliothek dabei hatte. Das endete damit, dass wir tatsächlich dann gemeinsam in einem Ballon über der Welt geschwebt und alles sehr entrückt beurteilt haben.“[6]


Kunst ohne Publikum

CCC 1993: Urheben
Auf den 1. Kieler Netztagen1993 hielt Kurd Alsleben einen Vortrag über das Urheberrecht „Urheben“ und Ende 1993 hatten Kurd Alsleben und Antje Eske auf dem 10. Chaos Computer Congress in Hamburg ein gleichnamiges Vortragsgespräch. Der Kongressbeitrag „Urheben“ lenkte die Aufmerksamkeit auf die Idee des zwischen dem persönlichen und dem öffentlichen Raum platzierten „offiziösen Raum“[7]: „Er ist der Ort, in dem Austausch möglich ist. Datenkunst, Netzkunst ist Kunst ohne Publikum. Es wird nichts geboten: Kein Sender richtet sich an Empfänger. Es geht vielmehr um Formen/Konventionen, einen gemeinsamen Code zu erarbeiten.“[8] Und wenn Kunst im Netz Verkehr, Austausch ist, dann folgt hinsichtlich des Themas Urheberrecht daraus ein Dilemma:
„In solcher Kunst
gibt es keineN KünstlerautorIn
gibt es kein Werk
gibt es keine Vervielfältigung
gibt es keine Öffentlichkeit“[9]

StapelLAufN (Interface1). Interface3 network
Im Rahmen des internationalen Symposions Interface 1, 1990 in Hamburg, war die HFBK mit ihrem dialogischen Projekt StapelLAufN vertreten. Der Titel unserer Interface-Veranstaltung bezieht sich auf Hypertext-Stapel und auf die lokale Vernetzung. An zwei beieinanderstehenden, im LAN verbundenen Computern wurde konversiert, dabei hielten Passanten und Studierende diverse kurzzeitversetzte Konversationen in den Medienformaten Zeichnung, Hyperlink und Schrift. Zu unseren damaligen Vorstellungen schrieben wir: „Was wir im Dialog künstlerisch eigentlich machen werden – dem Stapel eine persönliche Note aufprägen wollen, die fremden Anderweiten der anderen Seite bestaunen oder illuminieren, chatten usw. oder wie ein Künstler, anstatt in der gültigen des Autors, sich in der Rolle des Dialogisten überhaupt verhalten wird, das ist unbekannt. Zusammen mit neu aufkommenden Medien besteht die Möglichkeit, Verhalten zueinander in neuen, emanzipatorischen und rücksichtsvollen Konventionen und Formen zu gestalten.“[10]

Dreidrei-Schema
Drei Umrandungsfiguren mit je drei Icons zeigen drei kommunikative Ideen. Zwei der Ideen bilden eine Polarität, und eine steht für Zwischenstufen. Im Vergleichen erklären sie Kunst als Verkehr, Kunst ohne Publikum.
Die Umrandungslinien haben hierarchische Bedeutung. Jedes Icon bedeutet einen Menschen oder eine Gruppe, und die Textur bedeutet Künstler.
Das Dreidrei-Schema zeichnete Kurd Alsleben in der Seminardiskussion über VanGoghTV‘s Piazza virtuale, 1992.

dreidrei-schema-1 
Kurd Alsleben, Dreidrei-Schema, 1992

 

Im rechten Schema gehören die drei Icons zusammen, von denen zwei dem einen anderen gegenüberstehen. Das eine kann Publikum bedeuten und die zwei anderen etwa Schauspieler oder Opernsänger o. Ä.
Im linken Schema – Konversationskunst, Kunst als Verkehr – ist ein Icon nur eine Randfigur, die nicht dazugehört, ein zufälliger Zeuge, während die zwei anderen zusammengehören. In dieser Figuration ist der Künstler gleich dem Anderen: Empfänger/Sender.[11]
Das mittige Schema zeigt Mischungen, wie sie in elektronischer Kunst verbreitet sind.

kom!sch. Die längste Diskettenkorrespondenz der Welt
Hypertext nehme ich (A. E.) als Oberbegriff für ein verlinktes Gespinst aus Bildern, Schriften und Tönen. Der Hyperraum, der beim Korrespondieren entsteht, ist wie ein Wocken aus ungesponnener Wolle. Das Aufregende daran ist für mich, dass sich diese Vielfalt und Fülle, diese unendlichen und verblüffenden Bezüge, die sich sonst bestenfalls im Kopf oder in den Träumen abgespielt haben, im Computer formulieren und fixieren lassen.
Ein Ausdruck von exotischer Schönheit, der aber gleichzeitig ein Bewältigungsproblem aufwirft, ist das ständige Anwachsen des Hypertextes. Es ist eigentlich wie in meinem Garten. Kaum habe ich die Pflanzen zurechtgestutzt und eine Ordnung in das Wuchern geschnitten, wird alles wieder zuwachsen genau wie in der HyperCard-Korrespondenz kom!sch.
„Der Hypertext-Briefwechsel zwischen Antje Eske und Volker Lettkemann thematisiert Das Komische (in den Künsten, in den Theorien, in den Alltagskulturen, im Persönlichen …) und ist ein Beispiel für Formen dialogisch ausgerichteter Hypertexte, wie sie etwa an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg seit 1988 entwickelt werden. [...] Im Laufe dieses mehrjährigen Hypertext-Dialogs haben sich die Korrespondierenden auf besondere Artikulationsweisen und Artistiken eingespielt:

  • Begrüßungsbildschirm als Eröffnungsschmankerl
  • Direkte Anrede nach der Eröffnung, worauf im weiteren Beitrag meist verzichtet wird.
  • AnTasten; direktes Bezugnehmen, aber Schirmbilder der/des Anderen bleiben beim Anknüpfen unversehrt.
  • Spinnen am Computer; durch indirekte Bezugnahme den eigenen Faden spinnen.
  • Neuanfang; Ballast abwerfen.
  • Begleitmedien: Beipackzettelchen zur Diskette, Zwischendurch-Postkarten bei längeren Wartezeiten.“[12]


[1] Material-Verlag-HFBK Hamburg, Hamburg, 1983.
[2] Thilo Koenig, Material-Verlag-HFBK Hamburg 1972 – 2006 (material 275). Material-Verlag-HFBK Hamburg, Hamburg, 2009.
[3] Antje Eske und Angela Pietrzik (Hg.), Zeichnen und Schreiben, (material 67), Material-Verlag, Hochschule für bildende Künste, Hamburg, 1985.
[4] Antje Eske u.a., Erfahrungen und Phantasien aus unserem Frauenalltag oder: wie schwer es ist, uns selber wichtig zu nehmen, (material 62), Material-Verlag-HFBK Hamburg, Hamburg, 1984.
[5] Wau Holland, ds://finder/editorial.wau, Die Datenschleuder. Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende, Nr. 56, September 1996, ohne Seitenzahl.
[6] Matthias Lehnhard, “Internet als Ereignis”, in: Kurd Alsleben und Antje Eske (Hg.). Mutualität in Netzkunstaffairen, edition kuecocokue Hamburg/BoD, Norderstedt, 2004, Absatz 509.
[7] Der Begriff  „offiziös“, mit der Bedeutung zwischen „privat“ und „öffentlich“, wurde von Claudia Schmölders 1993 geprägt, während ihrer Seminare als Gastprofessorin an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, wo sie auf Einladung von Kurd Alsleben, Matthias Lehnhardt und Antje Eske unterrichtete.
[8] Kurd Alsleben und Antje Eske, “Urheben, Vortragsgespräch auf dem 10. Chaos Computer Congress in Hamburg am 29.12.1993”, in: Matthias Lehnhardt (Hg.), Gesänge über dem Lerchenfeld. Beiträge zur Datenkunst, Material-Verlag-HFBK Hamburg, Hamburg, 1994.
[9] Kurd Alsleben, „Urheben“, in: Kongressband, 1. Kieler Netztage ’93,Verlag Claus Schönleber, Kiel,1993, S. 197–198.
[10] Matthias Lehnhardt (Hg.), Gesänge über dem Lerchenfeld. Beiträge zur Datenkunst, Material-Verlag-HFBK Hamburg, Hamburg, 1994.
[11] Matthias Lehnhardt (Hg.), Gesänge über dem Lerchenfeld. Beiträge zur Datenkunst, Material-Verlag-HFBK Hamburg, Hamburg, 1994, und Antje Eske und Kurd Alsleben, Konversatorium, Ritardando. „Kunst als Verkehr“, Flugblatt zur Ausstellung dagegen dabei, Kunstverein Hamburg, 1994.
[12] Volker Lettkemann, “Die längste Diskettenkorrespondenz der Welt”, in: Kurd Alsleben und Antje Eske (Hg.), NetzkunstWörterBuch, edition kuecocokue und BoD, Hamburg und Norderstedt, 2003, S. 122–123.