zkm2010
 



Konversationskunst
Kurd Alsleben, Antje Eske
und Freunde

16. Oktober 2010 – 9. Januar 2011
ZKM | Medienmuseum
Projektraum

Unvorbereitetes Gespräch zwischen den zwei Freunden, im Mai 2004 im Hotel Betzler in Karlsruhe

Cord Passow und Kurd Alsleben
[2004]

Cord: Konversation kann Kunst sein – wie Du sagst. Aber sie kann nur dann Kunst sein, wenn du kein Ziel hast, also wenn du den Anderen nicht beeinflussen willst. Aber ich kann gar nicht anders als den Anderen beeinflussen.

Kurd: Das ist so. Stimmt.

Cord: Und ich meine, der Maler, der das Bildnis, das hier an der Wand hängt, gemalt hat, der kann nichts dafür, dass das hier hängt … Das ist eben ein Beispiel für die Unbestimmtheit des Lebens und das hat mit Wichtigkeit von Gegenständen nichts zu tun.

Kurd: Na ja, doch! Insofern: Er macht einen Vorschlag für das, was wichtig ist.

Cord: Er zwingt Dich doch nicht, das als wichtig zu empfinden.

Kurd: Er macht einen Vorschlag für das, was wichtig ist. Du machst ja, in dem, was Du sagst und wie Du mit mir sprichst, auch Vorschläge für das, was wichtig ist. Und wahrscheinlich auch, um von mir gleich was entgegen zu hören: was ich wichtig finde. Und dann veränderst Du dich, ich verändere mich. Und er, der Maler von diesem Bild, ist in dieser Weise nicht interessiert. – Aber lass ihn doch, ich find’s auch gut.

Cord: Wir reden an des Kaisers Bart vorbei. Ich fange jetzt ganz anders an: Es gibt ’ne Gruppe. Dann gibt’s ’nen Gruppenführer. Und der ruft die Leute auf und hat ein Ziel – über was gesprochen werden soll. Dann gibt’s das Team. Das setzt sich zusammen und unterhält sich, was sie nun in der nächsten Zeit machen wollen oder was für Probleme es gibt. Und die haben einen Teamsprecher, der das hinterher zusammenfasst. Und dann gibt es eben das Dritte, dieses gesellschaftliche Zusammensein.

Kurd: Es gibt ja auch noch – was Eberhard und Telse Schnelleimmer gemacht haben
– es gibt einen Moderator, der sieht darauf, dass alles zusammenkommt …

Cord: Jetzt kommt eben das gesellschaftliche Zusammensein, also dies freundschaftlich gesellschaftliche Zusammensein, und das kann eine Kunst sein – aber doch nur zur Kunst werden, wenn die zusammen sind … Die Gesellschaft ist doch ’ne völlig offene Sache. Das ist kein Machwerk. Aber Kunst, das Bild, ist zumindest ein Machwerk. Und der Gruppenleiter ist ein Macher, aber nicht der Teamsprecher.

Kurd: Und der die Gesellschaft Einladende, der ist auch kein Macher in dem Sinne – denn es geschieht dann.

Cord: Ja doch! Der hat doch die Leute ausgewählt.

Kurd: Ja, natürlich – graduell schon. Aber was da wirklich abgeht …

Cord: … Das hat er nicht unter Kontrolle, nein.

Kurd: Und nun kann man sagen, er sollte … Nein, nein, er soll gar nichts, damit wirklich was entstehen kann. Denn wenn er soll, dann ist es ja schon ganz nahe wieder am Machwerk dran.

Cord: Na ja, aber ich meine: Kunst ist doch nun mal ein Machwerk!

Kurd: Nee!

Cord: Du machst es doch!

Kurd: Nee

Cord: Kunst kommt doch nicht aus … die Natur ist nicht Kunst. Warum ist denn Kunst kein Machwerk?

Kurd: Ja, es muss doch kein Machwerk sein! Wenn Konversation Kunst sein kann,
dann ist es doch kein Machwerk.

Cord: Aach! (schwerer Seufzer)

Kurd: Wenn Du sagst, Kunst müsse Machwerk sein, dann kann Konversation keine Kunst sein.

Cord: Das ist Sophisterei, was Du machst … Du definierst die Konversation als kein Machwerk und kannst aber nicht klarstellen, warum keine Interessen … Also ’ne Einladung ist nötig, es müssen Interessen da sein von den Leuten, die da hinkommen … Ich meine, das ist natürlich ein sehr kompliziertes und ein sehr korreliertes Problem … Über viele Korrelationen hinaus entsteht etwas – und das ist das Gespräch. Und diese Korrelationen sind verbunden mit vielen Fakten. Schon allein, wenn Männer da sind und Frauen da sind, dann ist es eben nicht interesselos. Die Frauen haben andere Interessen an den Männern als die Männer an den Frauen … Und das kannst Du nicht durch die Sprache äquilibrieren. Dann müssen sich alle Masken aufsetzen und die Tonfälle verändern. Es gibt ja nicht nur die verbale Sprache, sondern es gibt die Körpersprache,
es gibt die Bewegung und es gibt die Art, wie einer entgegenkommt …

Kurd: Ja, das ist ganz wichtig. Die Sprache, rein verbal, das ist eine Möglichkeit, aber nicht die zentrale für die Konversation.

Cord: Für die Konversation ist sie zentral!

Kurd: Nein, nein! Wenn sie meinetwegen in den Salons gesessen haben, dann haben sie gegessen, haben sie getanzt, haben sie Musik gemacht. Also das war nicht das Zentrale. Das gab’s auch. In manchen Salons hat das…  

Cord: … Aber das ist dann keine Konversation! Wenn ich zusammensitze und Musik höre …

Kurd: … Wenn Du Musik machst, nicht hörst …

Cord: … Oder wenn ich Musik mache, – dann erzähle ich was. Aber wenn ich da sitze und da ist ’ne Kapelle – wenn ich selber Musik mache, dann ist das Konversation.

Kurd: Kammermusik. Da sitzen sie zusammen und musizieren miteinander. Und das würde ich ruhig Konversation nennen.

Cord: Man kann’s Konversation nennen, ja, ja. Aber das ist auch nicht interesselos! Die haben alle das Interesse, dass es besonders gut wird und dass sie besonders sich aufeinander einstellen.

Kurd: Ja, das ist ein schwieriges Wort: interesselos. Sie verfolgen keine Absicht, dass der eine im Beruf befördert wird.

Cord: Nee, das nicht. Aber sie haben die Absicht, dass es besonders gut wird, dass sie keine Fehler machen …

Kurd: … Natürlich. Dass es schön wird!

Cord: Sie machen was. Das ist ’ne gemachte Kunst.

Kurd: Selbst wenn du miteinander redest, kannst du ja auch sagen: Das ist Machen. Natürlich, das kannst du so sagen. Aber nehmen wir mal das Wort: produzieren.

Cord: Produzieren ist es nicht.

Kurd: Natürlich macht man was, aber deshalb ist es kein Machwerk. Es kommt gar kein Werk heraus. Sie machen was.

Cord: Na ja, was Virtuelles kommt heraus. Beim Philosophen kommt ja auch kein materielles Werk heraus. Wenn der Philosoph philosophiert oder ’nen Vortrag hält, dann macht er etwas und hinterher gehen vielleicht alle nach Hause und keiner hat was verstanden. Es ist nichts entstanden, aber er hat doch … Ja, es ist immer wieder die Frage: Warum Du nicht zugibst, dass die Kunst – dass Kunst mit dem Gefühl der Menschen spricht. Und dass … zwei Menschen oder
mehrere Menschen nur ganz selten in der Lage sind, gefühlsmäßig miteinander zu reden. Ob das verbal transportiert wird … gefühlsmäßig zu reden, ohne dass sie den andern aufregen, angreifen, dass sie ihn abseits stellen.

Kurd: Darum ginge es. Das zu kultivieren. – Darum geht es.

Cord: Ja, aber das glaub ich nicht, dass das geht!

Kurd: Ach so. Na ja, das kannst du glauben oder nicht. Das ist einfach – mein Glaube. Dass man das kultivieren kann. Und das ist ja keine Erfindung, kein Einfall plötzlich, sondern es ist gewachsen seit Jahrzehnten. Es ist beobachtet in anderen Zeiten: in der Salonkultur, in der Antike als ars sermonis. Da kann man beobachten, dass es das gegeben hat. Wir sind nach Urbino gefahren, um diese Beobachtung zu verkörpern. Antje macht regelmäßig BilderChat. Wir schreiben Bücher darüber, andere greifen es auf, wir reden darüber …

Cord: Da hab ich eben einen ganz anderen Einblick in die Geschichte. Ich würde sagen … wenn ich Literatur lese aus der Zeit … zu der Zeit hat es auch einen …Machiavelli gegeben, in der Zeit hat es furchtbar viele Kriege oder Kämpfe gegeben …

Kurd: Ja, das waren ja Firmen. Die haben Krieg verkauft … die Condottieri.

Cord: Ich halte es für möglich, dass es da auch wieder Gruppen gab, die miteinander
wirklich Konversationen machten …

Kurd: … In Urbino. Und zwar war das bloß fünf Jahre lang möglich, weil plötzlich ein Verwandter Papst wurde. In dieser Situation war das möglich.

Cord: Das gebe ich zu, kann ich auch nicht beurteilen. Aber ich halte es in unserer Situation überhaupt nicht für möglich.

Kurd: Es gibt das Netz …

Cord: Du kannst es keinem aufdrängen. Es muss entstehen.

Kurd: Na ja, sicher, wir sind ja dabei! Das machen wir ja.

Cord: Was? Was macht ihr?

Kurd: Wir entstehen es.

Cord: Was?

Kurd: Wir entstehen es. Wir sind dabei, dass es entsteht. Oder was meinst Du? Du sagst, es müsse entstehen.

Cord: Es muss entstehen, ja! Aber auch da sehe ich im Moment kaum eine Basis. Also wenn was entsteht, wenn ich ’ne Pflanze habe, dann weiß ich, dass da ein Samen ist … Ich sehe im Moment keinen Samen. Ich meine übers Internet ist viel möglich …

Kurd: Guck mal, das ist, man könnte fast sagen, das erste Medium, wo eine mutuelle … ein Hin und Her möglich ist. Das stimmt nicht ganz, eigentlich war es das Telefon, aber um das Telefon hat sich die Kunst nicht gekümmert. Jetzt ist eine Zeit, wo sich die Kunst darum kümmert.