Der Magische Spiegel /// 1970 /// Interaktive Videoinstallation
/// telewissen / Herbert Schuhmacher
Am 10. Dezember 1970 tauchte am frühen Abend in der Darmstädter Innenstadt ein roter VW-Bus auf. Die Heckklappe stand offen, zu sehen war ein laufender Fernseher. Die Leute blieben stehen und schauten neugierig auf die Mattscheibe. Und sie erblickten etwas für sie Unvorstellbares: Sie sahen sich selber im Fernsehen. Von einer Sekunde auf die andere verwandelten sich die Zuschauer in Darsteller. Die Situation war sorgfältig vorbereitet: Die Kamera besaß ein lichtstarkes Objektiv, ein Scheinwerfer leuchtete die Szene aus und ein Sony Portapak-Videorekorder nahm das Geschehen auf. Diese drei Videospulen von je 20 Minuten Dauer stellen die erste deutsche Closed-Circuit-Installation dar, das erste deutsche Kunstwerk, bei dem die Videotechnik gleichzeitig Aufnahme und Wiedergabe präsentierte. Das Publikum in seinen dicken Mänteln und seltsamen Mützen bestimmte das Programm. Jetzt wurden die originalen Bänder vom ZKM | Labor für antiquierte Videosysteme restauriert und das Szenario von 1970 rekonstruiert. Wieder steht ein VW-Bus bereit, wieder werden live schwarz-weiße Bilder produziert. Aber schaut noch jemand so fasziniert in die Kamera, wie die Menschen vor fast 40 Jahren? (Text: Christoph Blase)
Die Gruppe telewissen wurde 1970 von Herbert Schuhmacher in Darmstadt gegründet und zählt zu den deutschen Videopionieren. Mit Arbeiten und Aktionen war sie unter anderem 1972 und 1977 auf der documenta 5 und 6 in Kassel vertreten, 1973 auf der Biennale de Paris und 1974 in der Ausstellung Projekt 74 in Köln. Später folgten Dokumentarfilme für die ARD. telewissen existiert bis heute als Videoproduktion in Darmstadt.