LoveLetters_1.0 MUC=Resurrection. A Memorial.

2009 / Computerkunst-Installation
David Link

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Zwischen August 1953 und Mai 1954 tauchten am Schwarzen Brett des Fachbereichs für Informatik an der Universität Manchester seltsame Liebesbriefe auf:

LIEBSTER SCHATZ
DU BIST MEIN BEGEISTERTES ZUSAMMENGEFÜHL. MEINE LIEBE HÄNGT SELTSAM AN DEINEM LEIDENSCHAFTLICHEN WUNSCH. MEINE NEIGUNG SEHNT SICH NACH DEINEM HERZEN. DU BIST MEIN SEHNSÜCHTIGES MITGEFÜHL: MEINE ZARTE NEIGUNG.
WUNDERBAR DEIN
M.U.C.

Das Akronym M.U.C., mit dem sie unterschrieben waren, stand für "Manchester University Computer", die erste elektronische, programmierbare und universale Rechenmaschine weltweit. Der voll funktionsfähige Prototyp wurde im Juni 1948 fertig gestellt und basierte auf Williamsröhren, die als flüchtiger Speicher dienten. Christopher Strachey (1916–1975), einer der ersten Software-Entwickler überhaupt, hatte den eingebauten Zufallsgenerator der Ferranti Mark 1, dem ersten industriell produzierten Computer dieser Art, ausgerechnet dazu genutzt, Texte zu erzeugen, die Gefühle ausdrücken und erregen sollen. Die Installation LoveLetters_1.0 besteht aus zwei Teilen. Innen trifft der Benutzer auf eine funktionsfähige Nachbildung der Ferranti Mark 1, die einen Eindruck von der Funktionsweise des ersten Computers und den damit verbundenen möglichen Risiken vermittelt. Sie führt den Originalcode von Stracheys Software aus, wenn der Besucher die richtigen Schalter der rekonstruierten Bedienoberfläche bedient. Ein Liebesbrief wird generiert und auf einer großen Fläche außerhalb projiziert, wo jeder ihn lesen kann.
Wenn es dem Benutzer der Installation gelingt, auf den Schreibmaschinen-Tasten der Konsole seinen Namen in Baudot-Code zu schreiben, trägt der Liebesbrief diese Unterschrift. LoveLetters_1.0 gibt den Besuchern die Gelegenheit, sich öffentlich algorithmisch generierte Liebesbriefe zu widmen. Durch Drücken auf einen beleuchteten Knopf kopiert man den Liebesbrief auf den eigenen USB-Stick. Außerdem kann er von der Webseite des Projekts heruntergeladen werden. Einmal am Tag, zu einer zufällig gewählten Zeit, druckt die Maschine auf dem rekonstruierten Fernschreiber Creed 7 aus dem Jahr 1931 automatisch einen Liebesbrief aus. Dieses Gerät war an der Vorbereitung der britischen Reaktion auf die Bedrohung durch Hitler beteiligt. Sobald der Ausdruck beendet ist, lässt der Mark 1 aus dem Lautsprecher (der 'Sirene') "God Save the Queen" ertönen. Auf einem elektronischen Zeitungs-Display können die Nutzer authentische Dokumente und Fotos aus der Zeit einsehen und so Einblicke in den historischen Hintergrund der Maschine gewinnen. Die Laboraufzeichnungen von Geoff Tootills, einem der beiden Hauptkonstrukteure der Maschine, werden hier neben den Protokollen der für die Wartung zuständigen Mechaniker von Juli 1951, allen Betriebsanleitungen der Maschine (Turing 1952, Prinz 1954) sowie diversen Fotosätzen gezeigt.

Um die Maschine zu starten, setzen Sie bitte die Schalter in der oberen Zeile des unteren Teils der Konsole auf BS@/. Diese Zeichenfolge bedeutet binär 10011 10100 01000 00000. Ein Schalter in der unteren Position steht für 1, in der oberen Position für 0. Dann drücken Sie KEC und lassen los, schalten den Manual Prepulse-Schalter und lassen ihn los, drücken KCC und lassen los und schalten zuletzt den CONT-SING Schalter nach oben. Der Tanz der Bildpunkte auf den Speicher-Röhren wird Ihnen zeigen, dass die Mark 1 beginnt, das Programm auszuführen. Wenn es Ihnen gelingt, Ihren Namen auf den Schreibmaschinen-Tasten des Computers in der letzten Zeile unten zu schreiben, wird der generierte Liebesbrief Ihre Unterschrift tragen. Das Drücken des beleuchteten Knopfes kopiert das derzeitige Gedicht auf Ihren USB-Stick. Sie können es aber auch auf der Website des Projektes herunterladen.

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David Link (geb. 1971 in Düsseldorf) Computer-Künstler, Theoretiker und Programmierer, lebt in Köln. Seit 1997 werden seine Medienkunst-Installationen auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt. Seine Arbeit Poetry Machine (2001), ein interaktiver Textgenerator auf Basis von semantischen Netzwerken, ist Teil der ständigen Sammlung des ZKM | Zentrums für Kunst- und Medientechnologie Karlsruhe. Jüngste Projekte sind ECHOHCE, ein Rock-Konzert gemeinsam mit FM Einheit und Jamie Lidell und Chorus, eine elliptische Laufschrift von zehn Metern Durchmesser, die über der Terrasse eines Cafés hängt und die Gesprächsthemen der Besucher aufgreift. 2004 Promotion in Philosophie bei Friedrich Kittler und Siegfried Zielinski mit einer Arbeit über Textgenerierungs-Algorithmen in der Frühzeit der Computer-Entwicklung (Poesiemaschinen/Maschinenpoesie, München: Fink, 2007). Seine derzeitigen Forschungen konzentrieren sich auf die Konvergenz von Mathematik und Ingenieurskunst im frühen 20. Jahrhundert.

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© Foto: David Link

David Link, LoveLetters_1.0. MUC=Resurrection. A Memorial., 2009, Computerkunst-Installation

Unterstützung in jeder Hinsicht: Christopher P Burton MSc CEng.
Technische Unterstützung beim Umgang mit den historischen Geräte: Klaas Henschel, Thomas Völker, Klatho GmbH, Hamburg; Uwe Koch; Robert O'Kane; Kaya Wilbrandt; Alex Farfan.
Unterstützung mit historischem Material: Andy Coleman; Martin Edmunds; Kevin Murrell, Tony Sale, The National Museum of Computing, Bletchley Park, London.
Unterstützung mit historischen Informationen: Martin Campbell-Kelly; Simon Lavington; Brian Napper; Ludwell Sibley; Tilly Blyth, Science Museum, London; Computer Conservation Society, UK.
Hergestellt von: Kunststiftung NRW; ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.

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