Robert Root-Bernstein

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Wunder über Wunder! Die wissenschaftliche Bedeutung der molekularen Ästhetik

Als Ansatzpunkt dient uns das Schema eines Tetraeders, das neue Wissenschaften, Technologien, Medien und Ästhetiken so verknüpft, dass ein wechselseitig gewinnbringender Austausch entsteht. Diese integrale, symbiotische und transformative Vernetzung verändert das Weltbild des durchschnittlichen Wissenschaftlers, der auch heute noch an der Überzeugung des Comte'schen Positivismus aus dem 19. Jahrhundert festhält, die Wissenschaft sei die treibende Kraft des Fortschritts in allen menschlichen Unternehmungen. Nur wenige Wissenschaftler lassen sich auf die Frage ein, inwieweit Ästhetik und Medien ihre Studien beeinflussen und überhaupt erst möglich machen. Wir zeigen anhand mehrerer Fallstudien, wie Ästhetik und Medien die Innovation in Wissenschaft und Technik vorantreiben. Dabei fällt ein Schlaglicht auf die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen. Vier davon werden genauer betrachtet: 1) die Vorstellungswelten, die ein Wissenschaftler ersinnen muss, ehe er die Beschaffenheit wahrgenommener Phänomene prüft, 2) das persönliche Wissen gemäß der Definition des Physikers und Philosophen Michael Polanyi als intuitive, sinnliche Annäherung an die Natur, die der verbalen, grafischen oder mathematischen Artikulation vorausgeht, 3) Technik, die konkrete Umsetzung von Ideen in Experimente und Versuchsanordnungen, sowie 4) Synosie, die Kombination synästhetischer Sinneswahrnehmungen mit rationalem Denken, die gefühltes Wissen oder wissende Gefühle erzeugt. Wir gelangen zu dem Schluss, dass Wechselbeziehungen dieser Art nur dann eintreten können, wenn Wissenschaft, Technologie, Medien und Ästhetik sich so überschneiden und verflechten, dass eine gegenseitige Bereicherung gegeben ist. Wichtigstes Resultat ist das Phänomen des Wunders. Denn wie Scott Gilbert unlängst argumentiert hat, ist es am Ende das Wunder, das uns in allen Disziplinen dazu antreibt, das Wesen und den Sinn unseres Daseins zu hinterfragen. Die molekulare Ästhetik verkörpert dieses Wunder auf wundervolle Art und Weise. Sie bereitet nicht nur einer neuen Kunst den Weg, sondern auch einer neuen Wissenschaft.




Biografie

Robert Root-Bernstein ist Wissenschaftler, Humanist und Künstler. Er erwarb seinen B.A. in Biochemie und seinen Ph.D. in Wissenschaftsgeschichte an der Princeton University und ist  derzeit Professor für Psychologie an der Michigan State University, wo er sich mit der Evolution von metabolischen Kontrollsystemen, Autoimmunerkrankungen, der Arzneimittelentwicklung und dem kreativen Prozess in den Wissenschaften und Künsten beschäftigt. Er war Postdoc-Fellow in Theorien der Biologie am Salk Institute for Biological Studies von 1981 bis 1983 und MacArthur Fellow von 1981 bis 1986. Er ist  Mitherausgeber von Leonardo, der Zeitschrift der International Society for Science, Technology and the Arts und schreibt einen Blog über Kreativität namens Imagine That!. Zudem stellt er derzeit die Installation »Origins of Life 1.4« mit dem Transmedia-Künstler Adam Brown in Wien aus. Zu seinen Publikationen zählen unter anderem Discovering (Harvard University Press, 1989) und Sparks of Genius (Houghton Mifflin, 1999).