Symposium

In den Worten des berühmten Architekten Frank Lloyd Wright können wir die moderne Ästhetik der industriellen Gesellschaft als »Maschinen, Materialien und Menschen« (Kahn Lectures, 1931) beschreiben. Im postindustriellen Zeitalter müssen wir nur die Worte »Maschinen« und »Materialien« mit den  Worten »Medien« und »Molekülen« austauschen und wir erkennen, dass wir in das Zeitalter der »révolution moléculaire« eintreten, das der Französische Philosoph und Psychoanalytiker Félix Guattari im Jahr 1977 proklamiert hatte.

Molekulare Ästhetik repräsentiert heute, was im Bauhaus in den 20er Jahren »Materialforschung« genannt wurde. Neue industrielle Materialien, wie beispielsweise Metalle, Plexiglas und Aluminium, wurden damals als Rohmaterial verwendet. Allerdings wurden diese Materialien durch ihre Makroeigenschaften bestimmt. Heute, durch die Entwicklungen in der Nanotechnologie, kann die Materialforschung in neue molekulare Mikrobereiche vordringen. Die moderne computerbasierte Technologie hat es ermöglicht, Einblicke in eine Materie zu erhalten, die weit von bestehenden Konzeptionen entfernt ist, nämlich in die Welt der Moleküle, der Atome und subatomaren Partikel. Wege, Wissen zu erlangen, überschreiten heute die sinnliche Erkenntnis.

Die klassische Definition der Ästhetik ist gebunden an den Begriff der aesthesis, dem griechischen Wort für Ästhetik, das Wahrnehmung bedeutet. Was passiert allerdings mit dem Begriff der Ästhetik, wenn wir mithilfe von Maschinen die Grenzen der natürlichen Wahrnehmung überschreiten? Dann kann ästhetisches Wissen durch die Verwendung von Theorien, Konzepten und technologischen Experimenten gewonnen werden. Die klassische Ästhetik war begrenzt auf die Wahrnehmung von Oberflächen, Texturen und Formen, die vom Auge verarbeitet werden konnten. Sie hatte ihren Schönheitsbegriff an der Anatomie des Menschen ausgebildet (siehe Leonardo da Vincis »Der vitruvianische Mensch«, 1492). Heute ist die Wissenschaft durch die anatomische Oberfläche in mikroskopische Bereiche vorgedrungen und wir nehmen neue Materialteilchen, Größenordnungen, Proportionen und Skalierungen wahr. Müssen wir daher nicht auch unsere Ästhetik an diesen neuen Größen orientieren?

Mithilfe neuer Technologien können wir über Oberflächen hinausgehen und in neue Bereiche der Sichtbarkeit und Hörbarkeit vordringen. Deshalb haben wir es nicht mehr mit makroskopischen, sondern mit mikroskopischen Phänomenen zu tun, die nicht auf den Gebrauch von natürlichen sensorischen Apparaten, sondern auf eine apparativ gestützte Wahrnehmung basieren.
Mit dieser apparativ gestützten Wahrnehmung von Molekülen und dem Prozess der Interpretation ihrer visuellen und akustischen Daten dehnen wir den Bereich der Ästhetik über die sensorische Wahrnehmung hinweg aus. Innerhalb dieser Ausdehnung von sensorischer zu unsensorischer Wahrnehmung, von Objekten, die bis jetzt noch unsichtbar und unhörbar waren zu Objekten, die jetzt sichtbar und hörbar mithilfe von Instrumenten werden, geht die Ästhetik nicht verloren, nur ihr Feld dehnt sich aus auf bisher unsichtbare und unhörbare Bereiche, die jetzt endlich wahrgenommen werden können.

Molekulare Ästhetik als Begriff kann daher als virtuelles Feld verstanden werden, das durch unsere Fähigkeit entstand, Materie auf einer makromolekularen Ebene zu visualisieren. Durch die Kooperation mit dem DFG-Centrum für Funktionelle Nanostrukturen, das sich auf die Untersuchung von Nanostrukturen mit spezifischer und bestimmter Funktionalität fokussiert, will das ZKM einen potenziellen Weg für die Kunst initiieren, der ihr Zugang zu den Molekularwissenschaften verschafft und für die Molekularwissenschaften Wege zu bereiten, die es ihnen möglich macht, ihre Ergebnisse sozial und künstlerisch zu artikulieren.

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