ZKM | Museum für Neue Kunst, 07.05.–07.08.2011
28.06.2011
pfeil_zurueck

Hans-Dieter Fronz:
Francesco Lo Savio / Tano Festa »The Lack of the Other«

Der Künstler in der Mülltonne. Freddy Paul Grunert, neben ZKM-Direktor Peter Weibel Co-Kurator der Ausstellung „Francesco Lo Savio - Tano Festa. The Lack of the Other“ im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie, erzählt die Anekdote seiner ersten, zufälligen Begegnung mit Tano Festa. Auf dem Weg zu dem Kunstsammler Giorgio Franchetti in der Via del Babbuino in Rom Anfang der Neunzigerjahre sah Grunert auf der Ladefläche eines Lastwagens, umgeben von herumliegendem Bauschutt und herausgerissenen Buchseiten, auf einer Pritsche einen Mann liegen. Es war, wie er später von Franchetti erfuhr, Tano Festa. Tatsächlich lebte der Maler und passionierte Leser, zeitweise auf der Straße. Um Geld und Ruhm scherte sich der viermalige Teilnehmer der Biennale von Venedig wenig. Für seine Arbeiten verlangte er gerade soviel, wie er brauchte, um neue künstlerische Projekte zu finanzieren.
In einer Doppelausstellung erinnert das Museum für Neue Kunst im ZKM an Tano Festa und seinen Bruder Francesco Lo Savio. Noch keine fünfzig, starb Festa 1988; ein Vierteljahrhundert davor hatte sein drei Jahre älterer Bruder in jungen Jahren Selbstmord begangen. „The Lack of the Other“ - der Untertitel der Schau spielt auf den Umstand an, dass Festa in zahlreichen Arbeiten die Abwesenheit des toten Bruders zum Thema machte. Der ist etwa auch mit dem „Poeta Morto“ gemeint, dem Festa 1964 ein raumgreifendes Monument aus Plexiglas widmete, das jetzt in Karlsruhe zu sehen ist.
Die Ausstellung richtet den Fokus auf die Jahre um 1960 - eine Zeit, in der Strömungen wie Informel, Tachismus und Abstrakter Expressionismus die Szenerie beherrschten, aber auch bereits Tendenzen sichtbar wurden, die auf eine Überwindung der gestischen Subjektivität der arrivierten Ausdruckskunst zielten. Lo Savio und Festa gehörten dem Lager der Neuerer an. Womöglich war Lo Savio als Künstler der radikalere der beiden. Während Festas Malerei auf den Umstand reagiert, dass der moderne Mensch nicht länger von Wirklichkeit, sondern von Bildern umgeben ist, erscheint als Fluchtpunkt von Lo Savios Kunst die Abschaffung des Bildes selbst. Fürs erste freilich ist sein großes Thema die Wirkungsweise des Lichts im Raum. Nach frühen Bildern traditionellerer Prägung entstand 1959 die Serie „Spazio - Luce“: großformatige, monochrome Arbeiten in Acryl auf Leinwand, bei denen das Licht von der Farbe gleichsam aufgesogen wird und dunkeltonige, opake Flächen resultieren. Die Serie der „Filtri“ analysiert das Wechselspiel von Licht und Material in Gestalt übereinander geschichteter Papiere unterschiedlicher Transparenz. Der Zyklus der „Metalli“ schließlich (dreidimensionaler, schwarz lackierter Metallbleche) wie der „Articolazioni totali“ (weißer, an zwei Seiten offener Würfel, in denen sich schwarz lackierte, gebogene Metallbleche befinden) thematisiert die Modulationen des Lichts auf bemalten Oberflächen. Mit “Maison au soleil” von 1962 ist eins der architektonischen Modelle ausgestellt, in denen Lo Savio, der außer Kunst auch Architektur studiert hatte, die soziale Utopie einer Architektur entwirft, die den Menschen zu seiner Vollkommenheit gelangen lässt.
Auch bei Festa befindet sich das traditionelle Tafelbild in Auflösung; zumindest verlässt es den Boden der Tradition und nähert sich hier dem Materialbild, dort der Konzeptkunst. Stellenweise muten seine Bilder wie eine europäische Variante der amerikanischen Pop Art an - etwa in den Fensterbildern, die, den gemalten Flaggen und Zielscheiben von Jasper Johns gleich, das Motiv gleichsam dinghaft vergegenwärtigen. Das Reliefbild „Finestra o Persiana Rossa“ (Acryl auf Holz, 1962) ist gleichermaßen Bild wie Fenster: Nicht nur sind die Bildgrenzen durch das plastisch sich darbietende Sujet selbst vorgegeben, mit den reliefartig aus der „Bildfläche“ hervortretenden Lamellen evoziert die Arbeit ein reales Fenster mit halbseitig zugezogenem Fensterladen. Auf einer anderen Arbeit löst sich rote Acrylfarbe vom Bildgrund ab und ist im Begriff abzublättern wie bei einem mit Farbe angestrichenen Stück Holz. „La Porta Rossa“ schließlich heißt nicht nur so, sondern ist fast mehr reliefartig vergegenwärtigte Tür denn Tafelbild.
So unverkennbar indes Festas Bildkunst intentional über die Gattung Bild hinauszielt - in der äußeren Form von mit Farbe bemalten, an der Wand platzierten Rechteckformen bleibt sie der Bildtradition auch verbunden. Gerade die Wahl des Fensters als Motiv zitiert die Überlieferung: Bei Leon Battista Alberti ist es zentrale Metapher des Bildes selbst, das als eine Art Fenster zur Welt erscheint. Passend zu Lo Savios Intention der Auflösung des Bildes zeigt die Skulptur, die Festa als Hommage auf den Bruder schuf, ein solches Alberti’sches Fenster, das freilich von einem Balken durchbrochen wird. Nicht umsonst auch präsentiert die Schau an einer Stelle einen ganzen Schwarm von Bildern in Petersburger Hängung: dicht neben- und übereinander.
Festa galt fälschlicherweise bisweilen als Vertreter der europäischen Pop Art - eine Zuordnung, die er ironisch mit den Worten kommentierte: "Wenn Michelangelo in Italien als Pop angesehen werden darf so wie Coca-Cola in Amerika, ist es in Ordnung, von Europäischer Pop Art zu sprechen." Wie die Pop Art reagiert Festas Malerei auf die zunehmende Medialisierung des modernen Lebens. Nur dass bei ihm an die Stelle der Warenästhetik oder Lichtensteinscher Cartoons Werke der Hochkultur treten. Motive wie Michelangelos „Die Erschaffung des Menschen“ und Leonardos „Mona Lisa“, die „Meninas“ von Velazquez und Ingres’ „Große Odaliske“ kehren als Bildzitate in seiner Malerei stets aufs Neue wieder.
Fanden Lo Savios Arbeiten aus verschiedenen Privatsammlungen den Weg in die Fächerstadt, so stammen die allermeisten Werke Festas aus der Franchetti Collection in Rom. Die wird mit weiteren Stücken in einem eigenen Saal vorgestellt: Werken von Manzoni, Fontana oder Mimmo Paladino. Sandro Chias Bildnis Giorgio Franchettis in Öl tritt dort ein Porträt des Sammlers von Cy Twombly zur Seite - eine Mischtechnik mit kritzelartigen und skripturalen Elementen.



Quelle: Hans-Dieter Fronz, Kunstforum international, Bd. 209, Juli-August 2011, S.355-357