Digitale Medienkunst am Oberrhein.
Konservierung – Restaurierung – Zukunftssicherung
 
Marc Lee

TV Bot 1.0, 2004; TV Bot 2.0, 2010
Marc Lee

Lee MG 5523

Die Arbeit TV Bot des Schweizer Künstlers Marc Lee ist ein Internetnachrichtensender, der ausschließlich aktuelle Berichte, niemals älter als eine Stunde, aus den Nachrichtenflüssen des Internets schöpft und in einem Format für Internetbrowser unter einer gleichbleibenden URL (http://www.1go1.net/56ktv/index.html) sendet. Der Prozess ist automatisiert: Hinter der Auswahl an Inhalten, die in scheinbar beliebiger Abfolge in Form von Live-TV-Streams, Live-Radio-Streams, Webcambildern und textbasierten Schlagzeilen wiedergegeben werden, steht kein Redaktionsteam. Es gilt allein das Kriterium der liveness

TV Bot nimmt durch seine grafische Darstellung expliziten Bezug auf bekannte internationale Fernsehnachrichtensender wie CNN und n-tv. Marc Lee hinterfragt den informativen Wert der an ständiger Aktualität und Zuschauerquoten orientierten Sender, indem er sie einfach an Aktualität überbietet. Der Schweizer Medienkünstler widmet sich in seinen Arbeiten, zu denen auch räumliche Installationen zählen, hauptsächlich dem Internet und seinen Strukturen. Lee, der auch als Softwareentwickler tätig ist, zerlegt die für den normalen Nutzer oftmals nicht durchschaubaren Mechanismen des World Wide Web und erlaubt somit einen kritischen Blick darauf. 


Konservatorische Maßnahmen

Marc Lees TV Bot unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Untersuchungsobjekten. Bei TV Bot handelt es sich nicht nur um born-digital art (Definition siehe Glossar), also um originär digital geschaffene Kunst, sondern zudem um eine Arbeit, die über das Internet läuft und aus dem World Wide Web ihre Inhalte bezieht. Damit steht TV Bot in starker Abhängigkeit von einer technologischen Infrastruktur, die selbst einer rasanten Entwicklung unterliegt.

Die ursprüngliche Version des TV Bot wurde im Jahr 2004 von Marc Lee im Rahmen und mit Unterstützung des Projekts 56k-bastard Channel TV realisiert. Der TV Bot 1.0 funktioniert über eine programmierte Software, welche auf eine Datenbank aus online verfügbaren Fernseh- und Radiostationen zugreift und sich daraus die aktuellsten Nachrichten nach dem Zufallsprinzip zusammensucht. Das Programm filtert dabei nur diejenigen Meldungen heraus, die nicht älter als eine Stunde sind. Dadurch wird die vom Künstler geforderte Aktualität der angezeigten Informationen garantiert. Um die neuesten Radio- und TV-Meldungen, Webcambilder und klassischen Webinhalte (zum Beispiel Google-News-Schlagzeilen) als sichtbare Collage darzustellen, verwendet der TV Bot 1.0 das audiovisuelle Format des RealPlayers, eines Programms zum Abspielen von Video- und Audiodateien. 

Im Rahmen des Onlineprojekts beam me up wurde der TV Bot im Jahr 2010 aktualisiert und dabei in seinem ästhetischen Erscheinungsbild leicht verändert. Die Überarbeitung der Software war nötig, weil die ursprüngliche Version bereits nach sechs Jahren veraltet war. Der Standard des WWW zur Darstellung von audiovisuellen Inhalten hatte sich in der Zwischenzeit vom RealPlayer auf das Format des Adobe Flash Players verlagert; aufgrund dieser technischen Veränderung funktionierte der TV Bot 1.0 schlichtweg nicht mehr. So entschied sich der Künstler dafür, die Arbeit auf Flash umzubauen. Es ist allerdings nur eine Frage der Zeit, bis auch der aktualisierte TV Bot 2.0 technisch veraltet sein wird und „stillgelegt“ werden muss, da sich schon gegenwärtig die Einführung neuer technischer Formate abzeichnet.

Neben der Aktualisierung der Software, die der Erhaltungsstrategie der Migration zuzuordnen ist, hat der Künstler bei TV Bot 2.0 auch eine Re-Interpretation vorgenommen. So gibt es leichte inhaltliche und ästhetische Veränderungen, durch welche die Präsentation den visuellen Standards angepasst wurde und nun auch auf neue Formate wie die Community-Plattform Twitter zugreift. Das Look and Feel von TV Bot 2.0 orientiert sich stark an der ersten Version, wurde vom Künstler allerdings „modernisiert“ und „zeitgemäßer“ gestaltet. So wurde beispielsweise das Schnitttempo beschleunigt, in dem sich der Wechsel der TV- und Radioinhalte und der Webcambilder vollzieht, um sich der Geschwindigkeit unserer zeitgenössischen Nachrichtenflut anzupassen. Auch wurde die Struktur der Darstellung insgesamt übersichtlicher ausgeführt. Zusätzlich hat der TV Bot 2.0 sein eigenes Logo in Form einer sich drehenden Weltkugel erhalten. 

Heute besteht TV Bot 1.0 nur noch in Form eines Dokumentationsvideos von 2005, welches die erste Version als „historische Sequenz“ aufzeichnet. Dieses „dokumentarische Zeitfenster“ hält die ursprüngliche ästhetische Erscheinung der ersten Version fest. Doch was passiert hinter dieser für den Nutzer sichtbaren Oberfläche und macht diese erst wahrnehmbar? Die technischen Elemente zu erfassen und in ihren jeweiligen Funktionen, Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zu dokumentieren, bleibt eine unerlässliche Arbeit für die Erhaltung von TV Bot.

Lee MG 9191

Fotos: ONUK

 
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