Friedrich A. Kittler |
Vom Götterbild zur Computeranimation Vermutlich erst heute, unter hochtechnischen Bedingungen, sind Schrift und Bild in derselben Bewegung. Sie lassen sich innerhalb von Computern und über das Netz auch zwischen Computern mit Geschwindigkeiten übertragen, die beide, Schriften und Bilder, aber nur ihrer Verwandlung in Zahlen verdanken. In historischen Zeiten war das anders. Die Bilder der Götter, wenn sie nicht bloße Votivgaben darstellten, verkörperten die Macht eines Unsterblichen schon durch ihre schiere Größe. Nur mit höchstem rituellen, aber auch technischen Aufwand war es daher möglich, Götterstatuen zu bewegen. In einem assyrischen Keilschrifttext, der auch als Stiftungsurkunde aller Computeranimation und Computerrobotik lesbar ist, steht geschrieben, wie der Stadtgott nicht nur nach der ersten Aufstellung seines Standbildes, sondern in rituellen Abständen eine Mundwaschung erfuhr, die seine Redegabe erwirken oder doch erneuern sollte: "Beim Licht tropfender Fackeln trug man den Gott mit seinem Intarsiengesicht aus Juwelen zum Flußufer, und dort wurde ihm unter Zeremonien und Beschwörungen mehrmals der Mund ausgewaschen, wobei das Gesicht nacheinander gen Osten, Westen, Norden und schließlich gen Süden gewandt war. [...] Nach weiteren Beschwörungen wurde der Gott 'an der Hand' zurück auf die Straße 'geleitet', wobei der Priester ein litaneiartiges 'Fuß, der vorwärtsschreitet – Fuß, der vorwärtsschreitet' intonierte. Am Tempeltor wurde dann nochmals eine Zeremonie abgehalten. Darauf nahm der Priester den Gott 'bei der Hand' und geleitete ihn zu seinem Thron in der Nische, wo ein goldener Baldachin aufgeschlagen war und der Mund der Statue abermals ausgewaschen wurde." Im Allgemeinen teilten Bilder und Statuen das Los aller Inschriften, die mit ihrer Architektur, solange sie nicht zu Staub zerfallen ist, unlöslich verbunden bleiben. Dagegen scheint mittlerweile gesichert, dass die ältesten Schriften im Zweistromland gar keine Laute irgendeiner Sprache vertraten. Sie waren Zahlzeichen und dazu bestimmt, zusammen mit den von ihnen selbst abgezählten Gütern auf weite Handelsreisen zu gehen, ihre Beweglichkeit im Raum also nachgerade zu symbolisieren. In diesem Gegensatz zwischen Verortung und Bewegung lag aber, wie der Medienhistoriker Harold Innis schon 1950 gezeigt hat, der ganze Unterschied zwischen Athen und Jerusalem. Wenn wir (nach Derridas Wort) noch immer eine Grätsche zwischen Athen und Jerusalem machen, dann auch zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern. [...] Auszug aus: Hubertus von Amelunxen, Dieter Appelt, Peter Weibel in Zusammenarbeit mit Angela Lammert [Hg.], Notation. Kalkül und Form in den Künsten. Berlin: Akademie der Künste, 2008, S.261 |