1973 Thek und die Artist's Co-op werden von Jean-Christophe Ammann, der zu Szeemanns Team für die documenta 5 gehörte, eingeladen, im Kunstmuseum Luzern ein Environment zu bauen. Thek kündigt Ammann an: 'Ich werde eine ganz neue Ausstellung entwerfen... und wir werden hoffentlich zur Eröffnung Ostern NICHT fertig sein, aber wir werden trotzdem eröffnen und während sie läuft weiterarbeiten, so lange wir brauchen. Arbeitstheater.' Und später: 'Ich nehme an, Ihr habt ein Heimat- oder Nationalkundemuseum [mit] ausgestopften Exemplaren von Tieren, Vögeln etc.... Außerdem brauchen wir die Mitarbeit Eures Botanischen Gartens oder der Gartenbauabteilung. Bitte tut immer Euer Bestes, um die Sachen, die wir brauchen, zu leihen oder zu stehlen, häufig ist das, was wir brauchen, sowieso schon ÖFFENTLICHES EIGENTUM in einer anderen Institution... Wir brauchen die FREIHEIT, IM MUSEUM ZU ARBEITEN, WANN IMMER WIR WOLLEN, ZUM BEISPIEL AUCH NACHTS.' Im Februar schreibt er: 'Hier in NY sagen sie, in Vietnam wäre jetzt Frieden, und die Kirchenglocken in der ganzen Stadt haben geläutet, aber niemand schien davon Notiz zu nehmen, alle hatten Angst daran zu glauben oder sonst was. Dieses Imperium bröckelt schnell, selbst noch während die Wolkenkratzer weiter nach oben gehen, und dieses amerikanische Erlebnis verursacht mir Übelkeit, wie Blut im Mund, und wir scheinen fast völlig in unserer Technologie gefangen oder in dem Müll, der daraus entsteht.' Im März kommt die Artist's Co-op in Luzern an: Michèle Collison, Franz Deckwitz, Lee Fitzgerald, Edwin Klein, die Schauspielerin Cindy Lubar, Kanstler Ildiko Viczian, Lily Nova, Charles Shuts und Ann Wilson. Während sie das Environment mit dem Titel Ark, Pyramid - Easter (Arche, Pyramide - Ostern) aufbauen, entstehen eine Reihe von Bildern auf Zeitungspapier, die in der Galerie Stähli-Langenbacher und Wankemüller in Luzern gezeigt werden. Statt des üblichen Katalogs publiziert dieArtist's Co-op ein spezielles Buch mit Texten und Zeichnungen zur Ark, Pyramid - Easter-Ausstellung. Thek tritt in Robert Wilsons Overture for Ka Mountain and GUARDenia Terrace und The Life and Times of Joseph Stalin in Kopenhagen auf. Thek kehrt nach Ponza und Rom zurück. In Rom beginnt er mit der Arbeit an einer umfangreichen Serie kleiner Bronzen, die er, nach dem Märchen Der Rattenfänger von Hameln, The Personal Effects of the Pied Piper (Die persönlichen Effekte/n des Rattenfängers) nennt. Die Serie besteht aus kleinen Objekten und Figuren, wie zum Beispiel einer Flöte, Mäusen, die sich durch ein Buch fressen, einem brennenden Buch, einem Lagerfeuer und einem Brustbeinknochen. Thek arbeitet während der nächsten Jahre weiter an dieser Serie. Thek fährt häufig nach New York. Der Katholizismus wird explizit zu einem Aspekt seiner künstlerischen Arbeit und seines täglichen Lebens. Er schreibt an Franz Deckwitz: 'Ich versuche zu arbeiten, ja, es ist sehr viel schwerer jetzt, da ich denke, daß unser EGO tot ist, was gut ist, + jetzt müssen wir herausfinden, WARUM wir wirklich malen, wirklich WARUM... Wir sind jetzt Männer, Maler sind Priester, und WIR VERSUCHEN, DEN WILLEN GOTTES ZU ERKENNEN + ZU ERFÜLLEN, ES IST EINE GLORREICHE AUFGABE + WIR HABEN DIE EHRE UND WIR VERSUCHEN ES IMMER STÄRKER + UND IMMER WISSEN WIR, WAS WIR TUN IST NIE GENUG. Es scheint immer WENIGER ZEIT zu sein + immer mehr zu TUN und zu SAGEN.' Karl Stuecklen macht Thek mit den Mönchen eines Benediktiner-Kloster in Weston, Vermont bekannt. Hierhin wird er sich oft zum Meditieren und Beten zurückziehen. Aus dem Kloster schreibt er an Deckwitz: 'Dieser Ort ist gut für mich, und ich verbringe einige Zeit mit Beten. Ich denke jetzt, wie seltsam, daß wir unser ganzes Leben damit verbracht haben, bis jetzt, nach UNSEREM WILLEN zu leben, für uns zu arbeiten, und nicht damit, GOTTES WILLEN zu erfüllen. Ich frage mich, was für ein Gefühl es sein muß, Gottes WILLEN zu ERFÜLLEN? Es muß sehr aufregend und eine große Freude sein. Das tägliche Gebet ist so wichtig, wie kommt es, daß so WENIGE sich darum kümmern?' Im Dezember bauen Thek und Franz Deckwitz im Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg das Environment Ark, Pyramid - Christmas, auch bekannt unter dem Titel Die Krippe. Im Museum inszeniert Thek ein Krippenspiel mit Waisenkindern aus Duisburg. Die Kinder tragen von Thek geschaffene rituelle Gegenstände in einer Prozession. Es gibt eine mit Geschenken gefüllte Lebkuchen-Pyramide, die ein Konditor nach den Pyramiden der vorangegangenen Ausstellungen maßstabsgetreu modelliert hat. Thek schreibt an Peter Harvey: 'Es geht mir gut etc., sehr, irgendwie haben sie mir das ganze Museum überlassen, fantastische Kooperation, und 96 Bach singende Kinder, also mache ich DER KOMET, Ein Mittwinternachtstraurn (alle Kinder in Unterwäsche und Schlafanzügen) IN MEINEM GANZEN LEBEN HATTE ICH NOCH NIE EINE SO GUTE ZEIT.'
1974 Thek kehrt nach New York zurück. Er verläßt New York und geht nach Ponza, wo er in sein Notizbuch schreibt: 'Möchte anfangen zu malen - ein paar ROSA Bilder. Geburtstagskuchen, fliegende Dinosaurier... Ich singe ein paar Lieder zur Gitarre. Bo Jangles... Ein schöner Tag, viele Dinge von Bruder Lawrence gelernt... Einige Lieder aus dem Buch der Hymnen, wie gerne hätte ich einen zweiten Sänger + ein Tamburin! Ich träume von U-Bahnen + Singen, Paris vielleicht, arbeite ein bißchen weiter an den Mäusen - fangen an im Feuer des Rattenfängers - schreibe etwas von Bruder Lawrence ab - Bett, lese Pascal.' Aber auch auf Ponza findet er keinen Trost: 'Gott... hilf mir, etwas weniger "heilig" und ein besserer Maler zu werden... Warum sich plagen, mehr grobe Bilder zu machen, schon genug davon. Leute wie sie, ich sollte weniger beurteilen, Exaktheit, weniger. TUN FÜHRT ZUM ERFOLG.' Und später: 'Also malte ich weiter, heute auf Zeitungspapier + sah, wie die rasche Lebendigkeit, die Kühnheit des Pinsels gut ist, und merkte auch, am Ende des Tages, als ich sah, wie wenig Positives herausgekommen war, daß ich ihn intensiver BLOCKEN muß, daß ICH GESTALTUNG und FORM sehen muß + nicht fotografische Nachahmung. Ich muß also daran denken: ÜBUNG, GEDULD, BEOBACHTUNG, FORM, MASSEN, EINFACHHEIT, WEGLASSEN, WEGLASSEN, WEGLASSEN, ÜBERNIMM MEHR VERANTWORTUNG, IMITIERE NICHT EINFACH.'
1975-76 Thek verbringt den Winter in Rom, wo er weiter an The Personal Effects of the Pied Piper arbeitet. Er fängt mit der ersten Uncle Tom's Cabin with Tower of Babel (Onkel Toms Hütte mit Turm zu Babel) in Bronze an. In sein Notizbuch schreibt er: 'Mein Kopf beginnt sich zu öffnen, öffnen. Lobe den Herrn. Ich sehe, daß die Decke des Rattenfängers bald fertig ist. Morgen gehe ich zur
Gießerei. Ich versuche den ganzen Tag, mit Gott in Verbindung zu sein. Das ist besser. Ich bleibe in meiner Mitte, neutral. Lobe den Herrn... Meine Energie ist wieder da. Lobe den Herrn. Kein Haschisch. Ich sehe, wie wichtig es ist, mich vom Sex fernzuhalten, um die Fortschritte zu machen, die ich machen möchte. Zu leicht abgelenkt hier. Mehr Kontrolle nötig, oder überhaupt kein Spaß... Ich sehe, wie wichtig es für mich ist, KEIN HASCHISCH ZU RAUCHEN. Es macht melancholisch und selbstzerstörerisch! Thek fährt mit einigen Bronzen für eine Ausstellung in der Galerie Alexandre Iolas nach Paris. Die Ausstellung wird verschoben. In Paris experimentiert er mit Radierungen, die Lagerfeuer, aufsteigende Herzen, Kometen, den Turm zu Babel und die Prozesse und Erfolge von Bo Jangles darstellen. Im März fährt er mit Susan Sontag aufs Land. Er schreibt in sein Notizbuch: Ins Bett - ich versuche, mich in Neitsches [sic] "Fröhliche Wissenschaft" zu vertiefen, die ich mir von Susan ausgeliehen habe, aber es erscheint mir dumm + windig wie immer - schlafen.' Aber später schreibt er dann: 'Ich schlafe erst spät, lese Neitzsche [sic], jetzt gefällt es mir gut, ich begreife es.' Ende März kehrt Thek nach New York und Oakleyville zurück. Er erhält ein Künstlerstipendium von der National Endowment for the Arts und eine monatliche Unterstützung von der Galerie Alexandre Iolas. Er entwirft Bühnenbilder für Robert Wilson, die er aus den Pariser Radierungen entwickelt. Ende Juli schreibt er an Franz Deckwitz: Mit NYC scheint es mehr als je zuvor VORBEI. Eine Stadt, die sich jetzt völlig tot anfühlt und als ob sie nicht einmal genug wüßte, um sich hinzulegen. Die Kultur hier, die letzten Stadien der Pop-Vulgarität, wird langsam wirklich gefährlich, körperlich, moralisch, etc. Und ich sehe, daß ich hier nie wieder wirklich leben kann, aber natürlich fühle ich mich immer noch unbehaglich als ewiger Fremder in Europa, ich denke, ich ziehe einfach noch eine Weile länger herum und hoffe, eine anständige Revolution zu sehen oder anzuzetteln, die nicht nur darin besteht, daß eine Menge dummer Jungen "frei" sind, wenn Du NY und die USA jetzt sehen könntest, würdest Du erkennen, daß eine Revolution im Moment in absolut nichts anderem bestehen kann als in harter Arbeit, strengen Regeln und einer Menge Hingabe... WENIGER individuelle Freiheit einer bestimmten Sorte. Es war interessant, einen so guten Blick auf den Untergang der Welt gehabt zu haben, wir haben ihn kommen sehen, nicht wahr?... Ich werde New York bald verlassen... und nach Paris gehen und dann nach Rom, Ponza.' Zurück in Rom arbeitet Thek an The Personal Effects of the Pied Piper. Im Mai 1976 erhält Thek einen Brief von Jean-Christophe Ammann, in dem es heißt: 'Ich habe ein dringendes Problem. Wir haben immer nach Ark, Pyramid – Easter im Magazin, und wir können das nicht länger einlagern. Zunächst muß ich Dich bitten, mir schriftlich zu bestatigen, daß wir die ganzen Holzsachen, die wir in Luzern organisiert haben, die Wände der Pyramide und auch das Boot wegwerfen können.' Thek gibt seine Erlaubnis, außer für den Fishman, den Leichnam aus The Tomb und den Dwarf Parade Table und schreibt dazu: 'Manchmal finde ich Museumsleute noch verwirrender als die Künstler, aber, ehrlich gesagt, ich bin froh, daß ich mich um all das nicht mehr kümmern muß. Ich möchte allerdings hinzufügen, wie traurig ich es finde, daß die MUSEEN es für unmöglich halten, einen Weg zu finden, wie ich mit dieser Art Ausstellungen weitermachen kann. Hattet Ihr keine gute Publikumsreaktion? Wir hatten überall eine fantastische Publikumsreaktion... Ich kann nicht begreifen, warum es für Museen unmöglich ist, einen Weg zu finden, wie solche Ausstellungen weiterhin gemacht werden können. Ich halte es für wichtig, WICHTIG, sozial und kulturell. Es gibt so wenige Gruppenausstellungen in der Szene. Gruppenarbeiten sind immer so viel reicher. Es erscheint mir völlig verrückt, solche Dinge wie ARK, PYRAMID, EASTER mit all der Arbeit, die da drin steckt, wegwerfen zu müssen... nur weil das Museumssystem keinen Weg findet, sie anzunehmen. Es muß einen Weg geben... Kannst Du Deinen Museumsfreunden und ganz besonders den Leuten, die die Museen tragen, nicht beibringen, wie WICHTIG diese Ausstellungen sind? Für sie UND für uns! Kannst Du sie nicht dazu bringen, daß sie bereit sind, ein paar tausend Dollar für eine Ausstellung auszugeben, die NICHT stehenbleibt, die NICHT zu kaufen ist, die NICHT wiederverkauft werden kann? Das ist der PUNKT bei Ausstellungen wie ARK, PYRAMID, EASTER.Und jetzt muß das alles aufhören, weil keiner sich darum bemüht, einen Weg zu finden, das zu finanzieren. Wie schade. Und wir sind wieder da, wo wir angefangen haben, gucken uns OBJETS D'ART an und machen uns Sorgen um Sockel und Rahmen... Ich bin absolut bereit und absolut willens, mehr Environment-Ausstellungen zu machen. Ich habe jetzt so viele Ideen und keine Gelegenheiten... Sicher ist es traurig, daß es nicht IRGENDWO doch noch weitergeht. Soweit ich im Moment weiß, gibt es niemanden, der diese Art von NATUR-Theater macht, wie schade, und hier bin ich... und arbeite in BRONZE! Es ist mir wirklich ein bißchen peinlich, aber was soll ich machen?' Im Juni geht die Gießerei in Rom bankrott und schließt. Thek muß einige Bronzen für wenig mehr als den Herstellungspreis an die Galerie Fanta di Spada in Rom verkaufen. Die Bronzen werden 1976 auf der Biennale in Venedig und in der Galerie Alexandre Iolas in Paris und 1977 bei Brooks Jackson Gallery Iolas in New York gezeigt.
1977 Thek hat eine große Ausstellung, Paul Thek/Processions im Institute of Contemporary Art in Philadelphia. Die Ausstellung zeigt einen Überblick über Theks gesamte Arbeit sowie ein neues Environment mit The Tower of Babel, Uncle Tom's Cabin, Bandwagon und The Burning Bridge (Der Turm zu Babel, Onkel Toms Hütte, Musikwagen und Die brennende Brücke). Der von Suzanne Delehanty geschriebene Katalog gibt eine detaillierte Beschreibung und ikonografische Interpretation der Installationen von Thek und der Artist's Co-op. In einem unveröffentlichten, in der Zeit dieser Ausstellung entstandenen Essay schreibt Harald Szeemann: 'Paul Thek ist einer der wenigen Künstler, die begriffen hatten, daß nach 1967... und 1968... eine neue Einheit geschaffen werden mußte. Er ist einer der wenigen... der die Entdeckung der Einheit als seine besondere Begabung ansah. Ein solches Finden einer Einheit kann man definieren als eingebettet in eine historisch reife und autonome künstlerische schöpferische Kraft, die eine Realität in Form einer zweiten und parallelen Natur erreicht hat, hervorgebracht als Ergebnis der Interpretation der Natur, die die jeweiligen Aktivitäten des religiös Gläubigen, des Archäologen, des Mythologen und des Künstlers zusammengebracht hat... Dieses Modell hat in den Arbeiten Theks, in seinen Formulierungen haptischer und visueller Erfahrung, die er mit konzeptuellen wie auch durchlebten Dimensionen in Einklang gebracht hat, seine gültige Ausführung gefunden.'