Wieland Schmied |
Sie wollten nicht Futuristen sein Ezra Pound, der Vortizismus und seine Konsequenzen In mehrfacher Hinsicht fügt sich das Werk des amerikanischen Dichters Ezra Pound (1885–1972) in die Gedanken ein, die dieser Ausstellung zugrunde liegen. Zum ersten erscheint Pounds eigene Dichtung (wie seine Korrespondenz) schon früh, aber mit den Jahren in zunehmendem Maße, in einer eigenwilligen graphischen Notation, zu der Abbreviaturen, Unterbrechungen des gewohnten Erscheinungsbildes im Textablauf, scheinbar willkürliche Einrückungen und Einzüge, Abkürzung vonWorten, hypertropher Gebrauch von Satzzeichen, die Aufnahme von Noten etc. gehörten. Zum zweiten haben Pounds dichterische Texte auch insofern den Charakter einer Notation, als sie des Vortrags des Dichters harrten, den dieser dann feierlich zelebrierte (ich hatte die Gelegenheit, Anfang August 1958 als junger Mensch auf der Brunnenburg bei Meran einer Lesung Pounds beizuwohnen). Und zum dritten – last but not least – war Ezra Pound der (Mit-)Begründer einer künstlerischen Bewegung, des Vortizismus, die ohne ihn niemals so spektakuläre Auswirkungen gehabt hätte. Das war im Sommer 1914 in London, also am Vorabend des ErstenWeltkriegs. Auch wenn die Bewegung den Krieg nur kurz überlebte – spätestens 1920 gingen ihre Protagonisten auseinander –, so sind ihre Nachwirkungen vereinzelt bis in die Gegenwart spürbar. Ezra Pound ist also nicht nur durch seine extreme Verkürzung des Ausdrucks (Dichten =Condensare, war eine häufig von ihm verwendete Formel), die auch die graphische Gestalt seiner Aufzeichnungen bestimmte, und durch die rituelle Art des mündlichen Vortrags seiner Cantos bedeutsam, er ist es nicht weniger als Pionier der Avantgarde und Spiritus rector eines künstlerischen Aufbruchs, der in England seinen Anfang nahm, aber (wenn auch gebremst durch den Konflikt des Ersten Weltkriegs) weit über England hinaus wirkte. Ezra Pound war, ehe er sich Ende der 1920er Jahre, Anfang der 1930er Jahre in Rapallo in wachsendem Maße von allen Bestrebungen der Moderne isolierte, ein unentwegter, durch nichts zu enttäuschender Neuerer auf vielen Gebieten. [...] Auszug aus: Hubertus von Amelunxen, Dieter Appelt, Peter Weibel in Zusammenarbeit mit Angela Lammert [Hg.], Notation. Kalkül und Form in den Künsten. Berlin: Akademie der Künste, 2008, S. 129 |