Michael Baumgartner |
Aspekte der Notation bei Paul Klee Paul Klees ganzes künstlerisches Leben stand im Zeichen der Musik: Er spielte ausgezeichnet Geige, war ein begeisterter Opern- und Konzertbesucher und schrieb scharfzüngige Musikkritiken. Lange Zeit schwankte er, ob er Maler oder Musiker werden wollte. Die Musik bezeichnete er in seinem Tagebuch als "Geliebte", die Malerei aber als "ölriechende Pinselgöttin, die ich bloss umarme, weil sie eben meine Frau ist". Der Schweizer Künstler Hans Fischli, der Klees Unterricht am Bauhaus besuchte, erinnert sich an diesen alles durchdringenden musikalischen Geist in Klees Schaffen: "In seinem Atelier lag der Geigenkasten immer offen. Die Geige darin noch mit Kolophoniumstaub – also hatte er gerade vorher noch gespielt. Er war einer, der Töne erzeugte – auf der Geige und in seinen Bildern." Auf die "Musikalität" von Klees Werk verweist auch die Tatsache, dass sich Komponisten bis ins 21. Jahrhundert von seinem Werk inspirieren ließen. Über 400 Kompositionen nach Werken von Paul Klee sind bekannt. Die Notationen und Tonträger werden im Archiv des Zentrums Paul Klee in Bern aufbewahrt und sind für Interessierte zugänglich. Schon als junger Künstler hat sich Klee mit der Frage möglicher Wechselbeziehungen zwischen der bildnerischen Kunst und der Musik beschäftigt. 1905 notierte er ziemlich pessimistisch im Tagebuch: "Immer mehr drängen sich mir Parallelen zwischen Musik u. bildender Kunst auf. Doch will keine Analyse gelingen. Sicher sind beide Künste zeitlich, das liesse sich leicht nachweisen." Einen möglichen Ansatz für die bildnerische Umsetzung des zeitlichen Aspekts fand Klee einige Jahre später im Orphismus von Robert Delaunay. In dessen Konzept der simultanen Wirkung von Farbkontrasten erkannte er Möglichkeiten, Zeit als räumliches Kontinuum aus sich überlagernden Farben darzustellen – ein Ansatz, der für ihn wegweisend war und die Grundlage für seine Idee einer "polyphonen Malerei" bildete. In einem Tagebucheintrag am Ende des Ersten Weltkriegs verwendete Klee erstmals den Begriff der "Polyphonie" als Metapher für die Transformation von Zeit in Bildräumlichkeit Bildräumlichkeit. Selbstbewusst schrieb er: "Die polyphone Malerei ist der Musik dadurch überlegen, als das Zeitliche hier mehr ein Räumliches ist. Der Begriff der Gleichzeitigkeit tritt hier noch reicher hervor." Die systematische Auseinandersetzung mit strukturellen Beziehungen zwischen Musik und Bild nahm Klee mit seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus im November 1921 auf. Einen wichtigen Bestandteil seiner Vorlesungen zur Bildnerischen Formlehre bildete die zahlenmäßige Analyse bildnerischer Proportionen und Gliederungsverhältnisse in Anlehnung an musikalische Kompostionsverfahren. [...] Auszug aus: Hubertus von Amelunxen, Dieter Appelt, Peter Weibel in Zusammenarbeit mit Angela Lammert [Hg.], Notation. Kalkül und Form in den Künsten. Berlin: Akademie der Künste, 2008, S. 336-337 |