Thomas Grünfeld

-> Werke in der Ausstellung

line

Kathrin Luz

Ferien in Sansevierien mit Thomas Grünfeld


Ockerfarbene Polsterflatschen schmiegen sich an den Boden, genoppte rotbraune Leder, leicht angeschmuddelt wie vielfach benutzt, bespielen die Wandflächen, in stacheligen Sansevierien hat sich der zarte Muff der 1950er-Jahre verfangen. Willkommen im Reich der kollektiven Erinnerungen. Erinnerungen an die chronische Gebrauchsverflachung der Spätmoderne, an den funktionsgetriebenen Wiederaufbau im Zeichen des Wirtschaftswunders, an ein spezifisches, längst erloschenes Lebensgefühl deutscher Innerlichkeit der Nachkriegszeit, das Thomas Grünfeld, 1956 in Opladen geboren, so sorgfältig inventarisiert. Die Arbeiten o. T. (Polstertisch) (1987) und o. T. (Polster, zweiteilig) (1987), beide in der Sammlung, zeugen davon.

Der Künstler als kindlicher Zeitzeuge: Hier lebten noch die eigenen vier Wände hoch, hier galt das Wohnzimmer noch als Inbegriff gepflegter Lebenskultur, hier wurde noch kleinbürgerliche Wohnlichkeit als Schutzort der privaten Illusionen gepflegt – die Rückkehr zu den Wurzeln eigener Identität mögen als Motivation gedient haben. Und direkt daneben lauert schon die unbequeme Nachbarin: die Ironie. Spot an: In seinen Konstruktionen, in seiner Ikonografie des Interieurs, werden reine Funktionalität, symbolische Bedeutung und subjektive Aufladung gekonnt gegeneinander ausgespielt.

Die großen schwer und dunkel gerahmten Lederpolsterflächen an den Wänden (Putting, 1986), teilweise als Theken zum Gebrauch auffordernd, funktionieren zugleich wie Bilder und kommentieren schrullige Couch-Potato-Gemütlichkeit wie Herrenclub-Atmosphäre als Relikte einer überkommenen Zeit. Der Furor des Dekors im Spießerglück, die Sehnsucht nach der Heimat des Hässlichen: Ein undefinierbares Polstermöbel, ein Ensemble aus Tisch und Hockern, wird von einer Topfpflanze flankiert (so auch bei Polstertisch). Eine Einladung zum Niederlassen und Sitzen, der man nicht folgen mag. Trotz Menschenleere lauert im Arrangement der Terror der Familie, der in Wahrheit nicht selten der Terror des Sozialen ist, und lotet dessen psychologische Dimension aus. Vertrautheit wird mit Befremden gepaart.

Die Drei großen Braunen (1988), lang gestreckte, vertikal aufgehängte Filzhüllen, zitieren Filzvorhänge von Kneipentüren, die vor zugiger Kälte schützen. Der berühmte beuyssche Filz erscheint hier als Relikt einer spezifischen kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Lebenspraxis.

Kunstvoll aufgepolstert, abwaschbar und glatt: Ihre Weiterentwicklung finden sie in den Kautschuk-Arbeiten, vom Künstler selbst liebevoll „Kotzflecken“ genannt. Die Idee des Sockels haben sie allemal überwunden. Radikalen Abstraktionen der früheren Arbeiten, rigiden Formkonzentraten ähnlich, liegen die plastisch-platten Farbtropfen und -flecken matt und erschöpft am Boden. Und reizen dennoch mit ihrem sinnlichen Appell: „Zum einen fordern die leicht schwellenden Gummikörper in ihrer ästhetisch vollendeten Form geradezu zum haptischen Gebrauch auf (wir möchten am liebsten ihre Oberfläche streicheln), andererseits haftet der hermetischen Undurchdringlichkeit der pneumatisch gepolsterten ‚Gummis‘ eine uns psychisch bedrohende Wirkung an (wir erwarten jeden Moment, dass ihr bislang sorgsam unter Verschluss gehaltene, latente Energie zum Ausbruch kommt, dass sie aufplatzen und ihnen ein ‚Alien‘ entspringt),“[1] so fantasievoll beschreibt Hans Michael Herzog diese skulpturalen Phänomene. [...]


[1] Hans-Michael Herzog (Hg.), Kunst um Kunst, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bielefeld, Bielefeld, 1993, S. 20.


Katalogauszug "Extended. Sammlung Landesbank Baden-Württemberg"
Herausgeber: Lutz Casper, Gregor Jansen, erschienen im Kehrer Verlag Heidelberg, 2009

^


Werke in der Ausstellung

Thomas Grünfeld
ohne Titel (Polstertisch) ohne Titel (Polster/zweiteilig), 1987

Polster, Glas und Pflanze
35 x 125 x 125 cm je 40 x 40 x 40 cm

Thomas Grünfeld
ohne Titel, 1990

Holz, Leder, Aluminium, Kautschuk und Glas
100 x 300 x 35 cm

Thomas Grünfeld
Eye-Painting, 1995

Glasaugen und Epoxidharz auf Leinwand
120 x 120 x 5 cm

Thomas Grünfeld
ohne Titel, 1997

Kautschuk, Schaumstoff und Holz
20 x 180 x 120 cm

Thomas Grünfeld
misfit (Giraffe/Strauß/Pferd), 2000

Taxidermie
210 x 130 x 80 cm

Thomas Grünfeld
Verwandlung von Dachlatten in Gold (Schwarz-Europa), 1985

Dachlatten und Dispersionsfarbe, beschriftet
220 x 80 cm

^