Josephine Meckseper

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Andreas Beitin

Josephine Meckseper und das Dilemma menschlichen Daseins


Der französischer Sozialtheoretiker und Kritiker des frühen Kapitalismus, Charles Fourier, hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Utopie einer harmonischen Weltordnung entwickelt, die nicht auf Unterdrückung von Bedürfnissen und Trieben beruht, sondern auf freiem Ausleben natürlicher Triebe.[1] Die Befreiung der Arbeit sollte mit der Befreiung der Sexualität einhergehen; die Gleichberechtigung der Frau war fester Bestandteil seiner Utopie. Das menschliche Grundbedürfnis nach Sexualität sollte demnach uneingeschränkt und individuellen Vorlieben entsprechend befriedigt werden können, die Ware körperliche Liebe allen frei verfügbar und daher ökonomisch betrachtet wertlos werden. Fouriers revolutionär-anarchische Utopie eines libertären Sozialismus ist nie realisiert worden. Trotz und paradoxerweise auch gerade aufgrund aller Freizügigkeit gilt heute mehr denn je „sex sells“: Körperliche Attraktivität und Sexualität war noch nie so omnipräsent in den Medien und damit in der Gesellschaft wie gegenwärtig. Auf diese Weise trägt der Erotikfaktor in der Werbung enorm zum Wert, ja zur (symbolischen) Wertsteigerung der Waren bei. Selbst Güter, die nicht im Geringsten etwas mit Körperlichkeit zu tun haben, werden um ihrer Attraktivität willen mit nackten Tatsachen beworben. Im Werk von Josephine Meckseper, sei es in ihren Fotografien, Skulpturen oder Installationen, werden  Konsum, Erotik und Werbung in einen neuen Kontext gesetzt, ihre Mechanismen der Scheinhaftigkeit offengelegt und der gewohnte Betrachterstandpunkt hinterfragt.

Aufgewachsen ist die 1964 geborene Künstlerin in dem niedersächsischen Künstlerdorf Worpswede. Bereits als Kind ist sie im sozialen Umfeld von Anti-Atomkraft-Gegnern, RAF und DKP mit der Realität konfrontiert worden: „Statt Sesamstraße wurden uns in der Grundschule […] Holocaust-Dokumentarfilme vorgeführt“[2], so Meckseper. Als sie 1992 nach New York zog, der „Inkarnation des extremsten Konsumkults“[3], wurde für sie vor allem die Wirklichkeit der US-amerikanischen Politik prägend. Trotzdem legt die Künstlerin Wert darauf, dass Kunst für sie „weniger eine Form des autobiografischen expressiven Ausdrucks“, sondern eine „Form der Auseinandersetzung und Kommunikation mit der Welt“ sei.[4] Die zentralen Themen ihrer Arbeiten sind eine dezidierte Konsum- und Kapitalismuskritik, die auf die westliche „Société de consommation“[5] abzielt, wie sie von Jean Baudrillard bereits 1970 abgehandelt worden ist, und dessen Publikation „man schon als Kritik [an] der neoliberalen Ideologie betrachten [könne], bevor diese überhaupt in Erscheinung getreten“[6] sei, so Peter Weibel. Als symbolisches Leitmotiv taucht für diese Kritik in Mecksepers Installationen stellvertretend das Prozentzeichen auf, wie es für Preisnachlässe jeder Art im Einzelhandel vorkommt. „Spar dich arm“, lautet der paradox erscheinende, nicht ausgesprochene Imperativ unserer Werbewelt, der zuweilen das wahre Resultat des Konsumterrors ist, der die ubiquitäre Suggestionsformel des Sparens am Ende ins Gegenteil verkehrt: Überschuldung und Verarmung.

Meckseper greift Symbole und Mechanismen der Werbung immer wieder auf. Sie arbeitet diese verdeutlichend dabei mit Simulakren: Die von ihr verwendeten Readymades von Konsumartikeln werden im Kunstkontext zu Fallen des Vertrauten, denn sie scheinen nur noch das zu sein, was sie simulieren. Tatsächlich sind sie im musealen Kontext mit vollkommen anderen, ja zum Teil gegensätzlichen Bedeutungen aufgeladen. [...]

[1] Charles Fourier, Aus der Neuen Liebeswelt. Über die Freiheit der Liebe [frz. Le nouveaux monde amoureux, ca. 1820], Wagenbach, Berlin, 1977.
[2] „Josephine Meckseper im Gespräch mit Simone Schimpf”, in: Marion Ackermann (Hg.), Josephine Meckseper, Ausst.-Kat., Kunstmuseum Stuttgart, Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, 2007, S. 19.
[3] Ibid.
[4] Ibid.
[5] Jean Baudrillard, La société de consommation, ses mythes, ses structures, Gallimard. Paris, 1970.
[6] Peter Weibel, „Votum für eine transästhetische Vision”, in: Peter Gente, Barbara Könches und Peter Weibel (Hg.), Philosophie und Kunst – Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Merve, Berlin, 2005, S. 29.



Katalogauszug "Extended. Sammlung Landesbank Baden-Württemberg"
Herausgeber: Lutz Casper, Gregor Jansen, erschienen im Kehrer Verlag Heidelberg, 2009


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Werke in der Ausstellung


Josephine Meckseper
untitled (Shelf #13), 2002

Mischtechnik
60,9 x 139,7 x 10,1 cm

Josephine Meckseper
ohne Titel (Berlin, Demonstration Series 3), 2002/2006

C-Print, Diasec, 5-teilig
je 76 x 101 cm

Josephine Meckseper
Die Göttliche Linke, 2003

Schwarz-Weiß- und Farb-Super-8-Film auf DVD
5 min

Josephine Meckseper
Die Wüste des Realen, 2004

Verschiedene Materialien in Schaufenstervitrine
140 x 406 x 48 cm

Josephine Meckseper
March on Washington to End the War on Iraq, 9/24/05, 2005

Schwarz-Weiß- und Farb-Super-8-Film auf DVD
8'50'' loop

Josephine Meckseper
Ubi Pedes. Ibi Patria No 2 [Wo meine Füße stehen, dort ist mein Vaterland Nr. 2], 2006

Verkaufsständer und Schuhe
153 x 83 x 83 cm

Josephine Meckseper
Blow Up (Michelli, Legs, Mirror), 2007

C-Print
200 x 160 cm

Josephine Meckseper
Blow Up (Michelli, Body), 2007

C-Print
200 x 160 cm

Josephine Meckseper
Blow Up (Michelli, Portrait), 2007

C-Print
200 x 160 cm

Josephine Meckseper
President's Day, 2007

Mischtechnik auf Leinwand
200 x 160 cm

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