Julika Rudelius

rudelius

Julika Rudelius: Rites of Passage, 2008

-> weitere Werke in der Ausstellung

line

Isabel Meixner

Julika Rudelius. Das Selbstverständnis als Gegenstand der Reflexion


„Wenn ein Einzelner mit anderen zusammentrifft, versuchen diese gewöhnlich, Informationen über ihn zu erhalten oder Informationen, die sie bereits besitzen, ins Spiel zu bringen. […] Kennen sie den Einzelnen nicht, so können die Beobachter seinem Verhalten und seiner Erscheinung Hinweise entnehmen, die es ihnen ermöglichen, entweder frühere Erfahrungen mit ähnlichen Personen auszuwerten oder – was entscheidender ist – nicht überprüfte Klischeevorstellungen zu übertragen.“[1]
Diese Darstellung über das strukturelle Gefüge und die Mechanismen der Gesellschaft von Erving Goffman könnte wie eine Charakterisierung der künstlerischen Arbeit von Julika Rudelius gelesen werden.

Julika Rudelius untersucht in ihren Videoarbeiten und Fotografien Beziehungen und Bindungen von Menschen zu- beziehungsweise aneinander. Sie setzt sich dabei mit Vorurteilen und Klischees auseinander, die Einstellungen prägen und Verhaltensweisen steuern. Diese finden sich in etablierten Gesellschaftsschichten ebenso wie in gesellschaftlichen Randgruppen und im Umgang mit dem Vertrauten der eigenen Kultur ebenso wie in der Begegnung mit dem Fremdartigen anderer Kulturen. Rudelius fokussiert – häufig ausgehend von eigenen Irritationen – einfühlsam und präzise bestimmte Personen mit ihren Charakteristika, woraus ein atmosphärisch subtiles, dichtes „Dokument“ entsteht. Die 1968 in Köln geborene Künstlerin richtet dabei ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die sie heute umgebenden Lebensräume in Amsterdam und New York.

Im Vordergrund ihrer Arbeiten stehen Kommunikationsformen, verbaler oder nonverbaler Art, die bei einzelnen Gruppen oder bestimmten Gruppierungen zu beobachten sind und ihr Image maßgeblich prägen. Es sind soziale Codes, mittels derer sich Gesellschaftsschichten voneinander abgrenzen, sich Hierarchien innerhalb einer Schicht herauskristallisieren und Identität entsteht.

In diesem Sinne werden bei der Videoarbeit Economic primacy (2005) geschäftlich auftretende Manager in einem Raum, typisches Abbild eines Büros, einzeln befragt. Jeder von ihnen erläutert seine Einstellung zum Geld, dessen Machtfaktor und die Vorzüge der kapitalistischen Gesellschaft. Persönliche Gedanken über die Idee des Sozialstaates werden ausgeführt, Ansichten zu Bildung und Erziehung benannt. Die Männer zeigen ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, das von großem Ehrgeiz getragen ist und Erfolg signalisiert.

In der Videoarbeit Tagged (2003) wird eine in den Niederlanden lebende Gruppe marokkanischer und türkischer Jugendlicher interviewt, Kinder von Immigranten, die eine auffallend modische, teure Markenkleidung tragen. Während des Gesprächs in einem gewöhnlichen Hotelzimmer ziehen sie sich um und führen ihre Kleidungsstücke vor, von denen sie die einzelnen Designer und die ungefähren Kosten nennen. Nach den Gründen ihres Markenbewusstseins befragt, nennen sie das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Respekt. Gleichzeitig offenbart sich sehr deutlich ihre Entwurzelung aus ihrem kulturellen Umfeld der eigenen Familie heraus, deren Werte sie übernehmen, deren Adaption jedoch nur begrenzt gelingt. Das zeigt beispielsweise ihre Sicht der gesellschaftlichen Stellung der Frau, die mit derjenigen in der westlichen Welt kaum vereinbar ist.
So unterschiedlich diese beiden sozialen Gruppen auch sind, so nahe sind sie sich hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für Klischees und ihrer Motivation für ihr Verhalten. [...]

[1] Erving Goffman, Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, Piper, München, 1973, S. 5.


Katalogauszug "Extended. Sammlung Landesbank Baden-Württemberg"
Herausgeber: Lutz Casper, Gregor Jansen, erschienen im Kehrer Verlag Heidelberg, 2009


^


Werke in der Ausstellung


Julika Rudelius
Rites of Passage, 2008

Videoinstallation, zwei synchronisierte Projektionen, HD
17 min

^


Julika Rudelius
Rites of Passage
2008
Video Installation, 2 synchronisierte  Projektionen, HD
[Still]
17’00’’
© Julika Rudelius


^