Georg Herold

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Carmela Thiele

Georg Herold – Der unentdeckbare Planet


Dies hier wird nicht der letzte Text über das Werk von Georg Herold sein. Oder soll ich sagen: Dies wird nicht die letzte Wiederholung all dessen sein, was über diesen Künstler bereits festgestellt worden ist? In immer neuen Variationen gebären wir Exegeten Sinnstiftung zu einem Gegenstand, der zeigt, dass objektive Deutung von Kunst so gut wie unmöglich ist. In der Feststellung dieser Tatsache und in weitschweifigen Erklärungen untermauern wir beharrlich diese These, die uns selbst den Boden unter den Füßen wegreißt. Ein merkwürdiges Spiel.

Was bringt es uns, wenn wir wissen, dass Herolds Arbeiten von „echten Paradoxien in der fortlaufenden Konstruktion von Wirklichkeit in unserem Bewusstsein“ [1] handeln? Kann sich jemand konkret darunter etwas vorstellen? Die Sprache lässt uns im Stich, die sinnreichen Verknüpfungen der Worte, mit denen wir versuchen, alles in den Griff zu bekommen, den Alltag, die Probleme, die Rätsel der Welt – und der Kunst, die aber weiterhin nur in ihrer Rätselhaftigkeit als wahre Kunst anerkannt ist. Wieder eine Paradoxie. Wir sind umstellt von Paradoxien, insbesondere auf diesem Terrain. Um aus diesem Spiegelkabinett herauszufinden, muss die Sache auf den Punkt gebracht werden. Setzen wir also einfach einen. Setzen Sie einen!

easy going
Das Werk Georg Herolds wurzelt in seiner Obsession für das burleske Potenzial der Sprache. Das klingt handfest. Die unfreiwillige Komik des DDR-Vokabulars hat ihm Material geliefert, etwa das Wort „Abgangsverhandlung“. Dazu haben wir den Künstler befragt. [2] In der Kopie eines nicht datierten Formulars bestätigt Herold mit seiner Unterschrift, dass ihm seine persönlichen Gegenstände ausgehändigt worden seien, und dass er während der Haft keinen Unfall erlitten habe. [3] „Abgangsverhandlung, da muss ich doch lachen, da kann ich mich doch nicht aufregen.“ Der 1947 in Jena geborene Künstler verweigert Betroffenheit und Nabelschau. Dass der damalige Kunststudent 1973 inhaftiert und dann von der Bundesrepublik freigekauft worden war, ist kein Geheimnis. Denn jene „Abgangsverhandlung“ hat er unter dem Titel easy going 1999 in Kunst transformiert.

Von den Sprachverrenkungen der DDR-Administration kommt Herold auf das Absurde Theater: „Ionesco, das war schon großartig!“ Material, Dachlatten als neutrale Basis für Metaphern verwenden, das kam nach der Ausbürgerung während des Studiums in Hamburg. Die Namen der Dinge von ihren eigentlichen Bedeutungen lösen, den Kontext verändern. Eine Dachlatte ist nicht mehr Dachlatte, sondern Bedeutungsträger oder Messlatte oder Gerüst für eine Plastik. Ein Backstein ist nicht mehr Baustoff, sondern Bildelement oder Exponat einer Vitrine. Herold inszeniert das Spiel mit Worten und Dingen als Farce. Er präsentiert Collected Water Levels (1996) in Vitrinen und aufgespannte Nylonstrümpfe als Neuauflage konstruktivistischer Plastik.

„Ich habe die abgegriffensten Klischees der Alltagsprache bis zum äußersten strapaziert. So ist es mir gelungen, jener Befremdung Ausdruck zu verleihen, in der alles Leben ruht.“[4] Dieser Satz stammt nicht von Georg Herold, sondern von Eugène Ionesco. Der Hinweis auf den französisch-rumänischen Autor ist kein schlechter Türöffner zum Werk des großen Desillusionierers der deutschen Kunstszene. Transzendenz ist nicht erwünscht, dagegen helfen Sprichwortparodien sowie Wort- und Lautspiele, die wir genauso in den absurden Stücken Ionescos der 1950er-Jahre wie in den Titeln der Werke Herolds finden. So heißen Multiples aus der Vitrine Prototypen (2002) unentdeckbarer Planet, Antipaint-paint oder Fotografieren ohne Licht. [...]

[1] Matthias Winzen, „Was man wahrnimmt, aber nicht weiß”, in: Ders. (Hg.), Georg Herold. What a Life, Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Snoeck, Köln, 2005, S. 331.
[2] Bei den im Text folgenden vier Zitaten ohne Hinweis handelt es sich um Worte des Künstlers, wie er sie im Gespräch mit der Autorin geäußert hat.
[3] Abbildung in: Matthias Winzen (Hg.), Georg Herold. What a Life, Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Snoeck, Köln, 2005, S. 330.
[4] Zit. n. dem Nachwort von Hanspeter Plocher, in: Eugène Ionesco, Die kahle Sängerin, Reclam, Stuttgart, 1987, S. 56.



Katalogauszug "Extended. Sammlung Landesbank Baden-Württemberg"
Herausgeber: Lutz Casper, Gregor Jansen, erschienen im Kehrer Verlag Heidelberg, 2009

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Werke in der Ausstellung


Georg Herold
Verwandlung von Dachlatten in Gold (Rot-Europa), 1985

Dachlatten und Dispersionsfarbe, beschriftet
300 x 300 cm

Georg Herold
Verwandlung von Dachlatten in Gold (Gold-Europa), 1985

Dachlatten und Dispersionsfarbe, beschriftet
180 x 80 cm

Georg Herold
Gost (Norm), 1986

Bimssteine und Lack
160 x 80 x 80 cm

Georg Herold
ohne Titel (Beluga), 1989

Kaviar, Acryl und Lack auf Leinwand
210 x 360 cm

Georg Herold
it's more the strategy than the attraction, 2001

Glasboxen, Mini-TVs, VCD-Player, Video-CDs, Kabel und Spanplatten
162 x 29 x 34 cm

Georg Herold
the mind of the kind, 2001

Glasboxen, Mini-TVs, VCD-Player, Video-CDs, Kabel und Spanplatten
159 x 44 x 36,5 cm

Georg Herold
ideology of intelligence, 2001

Glasboxen, Mini-TVs, VCD-Player, Video-CDs, Kabel und Spanplatten
144 x 31 x 37 cm

Georg Herold
Prototypen, 2002

Vitrine mit Multiples, Dachlatten und Glas
242 x  250 x 47 cm

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